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Das Pendel ist des Pendlers grüner Baum des Lebens

Donnerstagmorgen, 8.30 Uhr, Düsseldorfer Hauptbahnhof. 
Tausende, gefühlte Zehntausend, wichtige Menschen rennen hin und her. Piekfeiner Anzug, perfekt abgestimmt auf den schwarzen Mantel, frisch polierte Lackschuhe, Aktentasche in der Hand oder den Rolllederkoffer am hängenden Arm. Frisch gestylte Frisur, jedes Haar sitzt am rechten Platz. Der Gesichtsausdruck: Mundewinkel angestrengt nach unten gedrückt, Lippen eng aneinander gepresst, Augenlider halb geschlossen, aber nicht aus Müdigkeit, sondern aus purer Ernsthaftigkeit und Konzentration. Das Angenervte springt ihnen aus dem Gesicht, sie zeigen an "Ich bin in Eile, gestresst, geh mir aus dem Weg, Du Untertan und nerv mich nicht!" 
Durch einen Coffee to go im Pappbecher und eine Zeitung unter dem Arm kann dieser Ausdruck des Stresses manchmal noch untermauert werden, das ist aber schon die fortgeschrittene Variante des stressed Businessman im Hauptbahnhof. 
Und das um halb 9. Schon reichlich spät für einen Mitarbeiter. Sie sind auch keine Mitarbeiter. Die Leute, die wirklichen Stress haben, die wirklich ackern müssen, die sind wahrscheinlich schon zwei Stunden vorher da unterwegs. Ohne den wichtigen Blick. Die mit dem wichtigen Blick sind zwar wichtig, aber nicht gestresst. Sie haben Zeit und wollen Wichtigkeit mit Stress ausbalancieren. 
Aber sie alle haben eines gemeinsam. Sie sind Pendler. Wohn- und Arbeits- oder Studienort fallen auseinander. Sie wohnen in Duisburg, Wesel, Dinslaken oder Moers und arbeiten / studieren in Düsseldorf. 
Es gibt viele Menschen, die pendeln. Ein Blick auf die Autobahnen genügt, ich empfehle A3 Richtung Köln morgens um 7. Oder die Bahn. In den Pendlerzügen sind alle Plätze besetzt, es wird Zeitung gelesen, Kaffee getrunken, der nächste Vortrag überarbeitet oder die letzten Spicker für die Klausur gelesen. Es kann sogar ganz gemütlich sein in solch einer Atmosphäre. Stichwort: leiden. Denn Leid schweißt zusammen. Wenn die Regionalbahn seit 5 Minuten auf offener Strecke steht und endlich die Durchsage kommt: "Sehr geehrte Fahrgäste, bitte beachten Sie folgende Durchsage: Auf Grund eines Triebwerk....SCHSCHSHCSCHSCHSCHSCHSCHSCHSCHSCH..., wir bitten Sie die Verzögerungen zu entschuldigen." 
Wer mal genau zuhört, der stellt fest, man kann diese Durchsagen gar nicht verstehen, selbst wenn man sich Mühe gibt und keinen iPod auf den Ohren hat. Pendeln schweißt zusammen. Jeden morgen die selben Gesichter, die beim Blick auf die Anzeigetafel "voraussichtlich 15 Minuten später", die Augen verdrehen. 
Nicht-Pendler fühlen sich den Pendlern häufig überlegen. Sie können später aufstehen, haben nicht so viel Stress mit der Bahn und sind früher zu Hause. Soziale Aspekte des gemeinsamen Zusammenlebens vor Ort sollen auch eine Rolle spielen. Aber Nicht-Pendler haben einen entscheidenden Nachteil. Sie pendeln nicht. 
Klar, Pendeln kann müde machen, nerven. Das Leben eines Pendlers besteht zu einem gewissen Teil aus Warten. Aber warten wir nicht alle irgendwie, irgendwann, irgendworauf ? 
Nein, nicht auf den Tod - so schwarz sehe ich auch nicht. 
Wir Pendler sind froh zu pendeln, die Zeit im Zug kann man gut ausnutzen. Wenn sich der Nicht-Pendler aufs Bett legt und schläft nach der Arbeit, kurz zum Ausruhen, macht der Pendler das im Zug. 
Er pendelt hin und her, der Pendler. Zerrissen zwischen zwei Lebensmittelpunkten. Oder ? 
Nein, das Pendel ist des Pendlers grüner Baum des Lebens. 
Das Pendeln ist Teil des Lebens, Philosophie des Ganzen. 
Des Lebens grüner Baum, sozusagen. 

Zumindest ein bisschen. 


her 

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