"Bist du eigentlich für oder gegen S21 ?" - Hä?
Spaltet sich unsere Gesellschaft jetzt schon in Für und Gegen den Bau eines Bahnhofs in Stuttgart ?
Nein, mich spaltet das nicht und ich glaube, die einzigen, die dafür ihr Leben opfern würden wohnen in Stuttgart. Seit Wochen oder sogar Monaten beherrscht das Thema die Schlagzeilen der deutschen Medien. Heute geht ein Foto von einem Mann durch die Presse, dem die Augen derart zerfetzt wurden, dass er zumindet vorübergehend erblindet ist. Ob er je wieder sehen kann, ist ungewiss. Getroffen wurde er von dem Wasserstrahl eines Wasserwerfers der Polizei, die vor wenigen Tagen gewaltsam versucht haben eine Demonstration von Schülern und anderen aufzulösen.
Das war schon ein reichlich skurriles Bild, Hundertschaften der Polizei - eingepackt in die dicksten Schutzkleidungen - kämpfen gegen Schüler, Rentner und das gehobene Bürgertum. Die Szenen hätten auch aus Usbekistan oder anderen Bürgerkriegsgebieten stammen können, aber nein sie kamen ausgerechnet aus dem Schwabenland ! Wohl kaum jemand hätte ausgerechnet Stuttgartern eine solche Widerstandskraft zugesprochen.
Worum geht es eigentlich bei diesem Thema, das uns in letzter Zeit plagt ? Sicher, um den Bau eines Durchgangsbahnhofes unter der Erde mitten in Stuttgart. Dafür soll der alte Kopfbahnhof abgerissen und uralte Bäume gefällt werden. Aber geht es den Gegnern von Stuttgart 21 tatsächlich darum, dass Bäume gefällt werden ? Mal ganz ehrlich - haben wir denn gar keine anderen Sorgen ?
Klar, es werden Millionen bis Milliarden von Euro in die Luft geballert bei diesem Projekt. Aber würde die Bahn das Geld nicht in Stuttgart ausgeben, dann vermutlich an einem anderen Ort. Mir geht es aber gar nicht so sehr um die Sache. Es interessiert mich viel mehr, was die Motivation der Leute ist, die sich an Bäume ketten und von Wasserwerfern bekämpfen lassen. Das sollte man nicht falsch verstehen - friedlicher, politischer Widerstand ist unersetzlich wichtig. Davon lebt unsere Demokratie ! Aber der Widerstand hört auf friedlich zu sein - es kommen Menschen zu Schaden. Ist das nötig ? Ist es das wirklich wert ?
All die Gegner vereint der Wunsch nach politischer Veränderung. Welche Wahl ist dabei nicht besser als die der Grünen ? Die sind doch im Moment politisch völlig unverbraucht. Gegen Atomkraft ! Gegen Stuttgart 21 ! Als könnte man diese beiden Dinge wirklich ernsthaft gleichsetzen. Aber die Grünen entwickeln sich zu der Anti-Stuttgart21-Partei. Das mag ihnen in den jetzigen Umfragen sicherlich gut tun, sie gewinnen immer mehr an Prozentpunkten. Was aber machen die Grünen, wenn Stuttgart seine politische Brisanz verloren hat ? Wenn es eine, zugegebenermaßen trotz Heiner Geißler nicht ersichtliche Lösung für das Problem gibt? Dann wird die Partei von Cem Özdemir langsam wieder in die Normalität kommen. Er kann sich da Tipps von Guido Westerwelle holen.
Vielleicht ist es aber auch so, dass sich die Grünen tatsächlich zur neuen bürgerlichen Partei der Mitte etablieren. Dass alle Bionade und Latte Macchiato-Trinker sich vereinen und jetzt "grün" sind, weil es im Moment besonders hip ist grün zu sein. Man isst im Vapiano, trinkt diese komischen Tees in bunten Fläschchen, trägt einen Seitenscheitel, ist gebildet, wohlhabend und wählt grün. Das sind die Leute, die von den tatsächlichen Problemen unserer Gesellschaft keine Ahnung haben. Die sich um Hartz IV überhaupt nicht scheren müssen, weil sie in sicheren Jobs gutes Geld verdienen. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie sich nicht von ihrer linken Tendenz abbringen lassen und zur neuen Stammklientel für Ex-FDP-Wähler werden.
Die Leute, die in Stuttgart demonstrieren, wollen endlich mal den dummen, arroganten und faulen Politikern, die sowieso keine Ahnung mehr haben was die Wähler wollen, zeigen was es bedeutet für etwas einzustehen. Was für ein Käse. Hätten sich mal so viele Gegner zu Thilo Sarrazins merkwürdigen Thesen gefunden... Aber nein, der Bau eines Bahnhofs ist ja ein viel besserer Ort um politisch Flagge zu zeigen.
Schade, eigentlich.
Es wird Zeit, dass dieses Thema verschwindet. Es ist mir eigentlich egal, ob in Stuttgart ein Bahnhof errichtet wird oder nicht. Ich wohne auch nicht in Stuttgart. Also liebe Leute lasst das Thema doch da, wo es hingehört, nämlich im Schwabenland. Die Bundeskanzlerin hätte uns allen einen Gefallen getan, hätte sie sich nicht zu dem Thema geäußert und so, der Sache ein wenig die politische Brisanz genommen.
So müssen wir das jetzt ertragen. Den Kampf, um uralte Bäume.
her
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