Ein Demonstrant liegt schon auf den Gleisen, wehrlos, kraftlos, bewusstlos. Auf den Fernsehbildern sieht man, wie Polizisten mit Schlagstöcken weiter auf ihn einschlagen, Tränengas versprühen oder ihm in die Magengrube treten. Sein Vergehen: "schottern" (mein Vorschlag für das Wort des Jahres 2010) - er hat also versucht die Steine, also Schotter, aus dem Schienenbett zu entfernen um die Strecke unbefahrbar zu machen. Ob er selbst die Polizisten angegriffen hat, ist nicht übermittelt. Jedenfalls ist er ein Sinnbild für die Gewalttätigkeit bei den Demonstrationen um den Castor-Transport in Richtung Gorleben.
"Eine Verantwortung aus vorangegangenem Tun", kommentiert Norbert Röttgen, der zuständige Minister für Reaktorsicherheit die Notwendigkeit des Castor-Transports. Er sagt: "Wir dürfen nicht fliehen vor den Problemen unserer Umwelt, wir dürfen unseren Kindern und den Generationen danach nicht einfach den Atommüll vor die Füße kippen. Wir von Schwarz-Gelb haben dafür gesorgt, dass das ein Ende findet."
Soweit das gesprochene Wort, des neu gewählten CDU-Vorsitzenden von Nordrhein-Westfalen. Doch, was will er uns damit sagen ? Der von den Kernkraftwerken der Bundesrepublik produzierte Atommüll wurde in Frankreich wiederaufbereitet, in einem ganz komplexen Verfahren, dass in Deutschland sogar verboten ist. Es ist deshalb verboten, weil man bereits aus fünf Kilogramm der wiederaufbereiteten Masse eine Atombombe bauen könnte. Da erscheint es natürlich sinnvoll, es innerdeutsch zu verbieten und den Auftrag dann an den Nachbarn Frankreich zu übergeben, wir wären damit ja aus dem Schneider. Gäbe es nicht dieses lästige Problem mit der Entsorgung... Denn die Franzosen sind ja auch nicht blöd, logischerweise verlangen sie, dass wir unseren Müll wieder zurücknehmen. Aber hier zu Lande weiß man auch nicht so richtig wohin damit. Ein Zwischenlager wurde geschaffen, Gorleben. Dort werden diese entsetzlichen Castoren gelagert, für wie lange auch immer. Das dringend notwendige Endlager ist nämlich nicht in Sicht. Es besteht ein Streit den ohnehin kein Mensch so recht versteht, bei dem es allein um das Verfahren über die Untersuchung und "Erkundung" des ehemaligen Salzstockes geht. Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages beschäftigt sich seit mehreren Jahrzenten mit diesem leidvollen Thema. Jetzt am Wochenende war er wieder unterwegs, der Castor-Transport. Von Frankreich nach Dannenberg, dort wird der Müll verladen auf Lastkraftwagen und dann nach Gorleben transportiert.
Es hat in Deutschland Tradition, dass gegen diese Transporte demonstriert wird. Immer, wenn ein solcher Zug unterwegs war, haben sich Tausende versammelt um zu Bekunden, dass sie nicht einverstanden sind dass hochradioaktiver Müll durch ihre Vorgärten gefahren wird und dass es überhaupt so etwas wie Kernenergie gibt. Die Anti-Atom-Stimmung war eigentlich schon längst abgeebbt. Atomenergie? Finde ich nicht gut, aber ist ja eh bald vorbei. So hätten wohl die meisten noch vor einem Jahr auf die Frage nach der Meinung dazu geantwortet. Schließlich hatte die Rot-Grüne Bundesregierung den schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen. Endlager-Frage war zwar nicht geklärt, aber immerhin würde nicht noch weitere 50 Jahre dieser Müll fabriziert. Die Gesellschaft hat sich geeinigt auf den "Atom-Konsens". Friede war eingekehrt, ohne das verhängnisvolle Gesetz der aktuellen Bundesregierung wären wahrscheinlich die üblichen 2 000 bis 3 000 Hardliner gegen den Castor-Transport auf die Straße gegangen. Nun hat die Regierung aus FDP und CDU aber beschlossen, die Laufzeiten von Kernkraftwerken um weitere 14 Jahre zu verlängern.
Ein verhängnisvoller Fehler, ein skandalträchtiger Beschluss, eine verantwortungslose Vorgehensweise. Als "Revolution" hat dieser Suppenkasper von Röttgen versucht uns dieses von den vier Energiekonzernen gekaufte Gesetz schmackhaft zu machen. Das ist eine Beleidigung für jeden mündigen Staatsbürger, der völlig für dumm verkauft werden soll. Dieses ständige Gerede von Verantwortung, ach ja, wir tun ja so viel für unsere Umwelt ist ja nicht länger zu ertragen. Wie verlogen und dreist kann man als Politiker eigentlich sein, sich für so etwas auch noch feiern zu lassen ? Es kommt noch schlimmer...
Artikel acht unseres Grundgesetzes garantiert jedem (Deutschen) das Recht zur Demonstration. Genau dieses Recht, eines der vornehmsten Grundrechte unserer wunderbaren Verfassung, haben sich die 50 000 Menschen im Wendland zu eigen gemacht. Sie sind auf die Straße gegangen, sie haben demonstriert, gegen die Atompolitik der Regierung, gegen die Laufzeitverlängerung, gegen Castor-Transporte und für erneuerbare Energien. So ist es ja nicht, heute heißt es oft, alle seien nur noch gegen alles, aber niemand für etwas. Das stimmt ja nicht. Dass es bei Demonstrationen zu Gewalt von beiden Seiten kommt, sowohl Polizisten völlig über die Strenge schlagen, als auch Demonstranten zu weit gehen ist aus vorherigen Erkenntnissen bekannt. Dass Frau Merkel und viele weitere Politiker der CDU und CSU diese Demonstration verurteilen und den Demonstranten das Recht auf Versammlungsfreiheit absprechen wollen, ist kein kleiner, es ist ein riesiger Skandal. Und ein weiterer Beweis dafür, wie wenig sie eigentlich verstehen von dem was die Leute wollen.
"Gewalt ist nichts anderes als Vernunft, die verzweifelt", sagte der spanische Philosoph Ortega y Gasset. Klar ist, dass Gewalt unvernünftig ist und zu keiner Demonstration dazugehören sollte. Aber ein gewisses menschliches Verständnis für die Leute aufzubringen, die für ihre Ideale kämpfen - und das überwiegend friedlich - wäre angemessen.
Wer sagt "glauben die im Ernst, die könnten verhindern, dass der Zug in Gorleben ankommt", hat vieles nicht verstanden. Natürlich kommt der Zug an. Aber diese Leute wollen ein Bewusstsein hervorrufen in der Bevölkerung, was dort geschieht ! Sie stehen ein, für ihre Ideale. Das ist etwas, was in der heutigen Gesellschaft immer weniger auftaucht. Viele haben gar keine Ideale mehr - das sind dann genau die, die auf die Demonstranten schimpfen. Törricht, in höchstem Maße. Denn ohne die Demonstranten, ohne solche Aktionen würde nicht einmal debattiert um die Atompolitik. Der Staat könnte tun und lassen, was er wollte. Auf dem Weg in eine diktatorische Energiepolitik.
So gesehen, sollten wir dankbar sein, dass es noch Menschen gibt, die bei zwei Grad über Null noch tagelang in der Kälte stehen und unermüdlich ihre Fahne hochhalten. Von mir gibt es dafür Bewunderung.
Wer jemanden kritisiert, der sein Grundrecht ausübt, ist nah dran unsere Verfassung in Frage zu stellen. Der bayerische Innenminister Hermann (CSU) hat vorgeschlagen, die Demonstranten sollten doch die horrenden Kosten für die Polizeieinsätze zahlen. Schließlich bräuchte man ohne sie auch keine Polizei. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen.
her
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen