Seiten

Muße - eine Rarität

Weihnachten 2010 steht vor der Tür. Morgen ist Heiligabend, dann geht alles wieder ratz fatz und auch das Jahr wird bald um sein. Ehe wir uns versehen ist dann demnächst schon wieder Karneval, der Frühling kommt - Sommerferien - Herbst, der erste Regen nervt uns, Winter : der Schnee ist uns noch immer eine grausige Erinnerung aus 2010. Dann ist Weihnachten 2011. Es sind zwar 365 Tage vergangen bis dahin, aber nehmen wir diese überhaupt noch ausgiebig wahr? Sind wir nicht alle ständig auf der Flucht vor uns selbst, vor Problemen, vor Aufgaben? Treiben und Hetzen wir nicht nur noch von Ereignis zu Ereignis, von Wochenende zu Wochenende? 
Alles nervt. Bahn nervt, Auto nervt, Einkaufsstress nervt, Geschenke kaufen nervt, Schnee nervt am meisten, Essen nervt, Kälte nervt. Zur besinnlichsten Zeit im Jahr erscheinen die Menschen genervt wie eh und je. Früher als Kind haben wir doch alle gejammert, wenn es wieder keine weiße Weihnacht gab. Früh versuchten die Meterologen immer zu prognostizieren, ob Weihnachten Schnee liegt oder nicht. Und keines Falls wurde der Ausgang so erwünscht, dass kein Schnee liegen solle. Ganz im Gegenteil: weiße Weihnachten waren immer ein großer Wunsch von Großteilen der Bevölkerung, sonst wäre dies nicht immer schon diskutiert worden. Dieses Jahr erscheint es anders: Schneechaos, Sturmtief Petra, neue Eiszeit: früher hieß das Winter. All das muss heute zu einer Art Katastrophe herauf beschworen werden. Hysterie breitet sich schon wieder aus. Die Furcht Weihnachten nicht mobil sein zu können, Herr Gott! Hilfe, es liegt Weihnachten Schnee! Da können wir gar nicht... Ja was eigentlich? In unserer heutigen Gesellschaft ist alleine schon der Gedanke nicht flexibel, nicht mobil sein zu können, eine Qual. Die Aussichten nicht mal eben zur Tanke düsen zu können, um noch ne Schachtel Kippen zu besorgen scheinen zu lähmen. Von Vorfreude auf weiße Weihnacht, nichts zu sehen. Das heute-journal beginnt die erste Meldung mit dem Wetter, so als ob sich nur noch alles um Schnee dreht. Flexibilität, Mobilität, niemand will es missen. Dabei soll Weihnachten doch Zeit für Besinnung geben, man soll doch mal über all den Stress nachdenken können, der vorher und hinterher wieder kommt, beziehungsweise war. Unmöglich, wieder wird alles nur durch künstliche Hysterie, durch künstlichen Stress aufgeplustert. Der Mensch im Jahr 2010: gejagt von sich selbst. 

Weihnachten gibt Zeit um Muße zu tun. Wahrscheinlich muss man das Wort heute noch erklären, weil vor lauter Stress und gekünsteltem Stress und noch mehr Stress sich niemand mehr überhaupt für die Bedeutung des Wortes "Muße" interessiert. Dabei sagt doch ein altes chinesisches Sprichwort: "Einen Tag ungestört in Muße zu verleben heißt, einen Tag lang ein Unsterblicher zu sein." Muße: freie Zeit, innere Ruhe, sagt der Duden. Muße ist aber viel mehr, als ein bisschen Freizeit. Nicht sich wieder treiben lassen von anderen. Muße ist die Beschäftigung mit sich selbst. Die Auseinandersetzung mit seinem Innersten. Genau das, was man an Weihnachten machen sollte. Dazu braucht man kein Auto, keine Bahn. Man muss sich nicht die Flexibilität offen halten, man braucht noch nicht einmal das Gefühl zur Tanke fahren zu können. Um Muße zu tun gehe ich vor die Tür, staune über die wunderschöne Pracht an Schnee und gehe spazieren. Muße muss nicht zwangsläufig Einsamkeit bedeuten, Weihnachten ist ja schließlich das Fest der Liebe, sprich der Gemeinschaft. Muße sollte man aber auch nicht nur an Weihnachten tun, sondern wann immer es nur geht. Die Beschäftigung mit dem Inneren, das Abhorchen von innersten Bedürfnissen, eine Rarität. Wir können nicht mehr mit unseren Sorgen umgehen, weil sie im Haufen der medialen, informationstechnischen Überflutung untergehen. Das Internet, es treibt uns auch. Wir müssen doch noch schnell die Email schreiben, noch schnell hier und da posten, noch mal eben gucken, ob nicht jemand schon was neues veröffentlicht hat. Das Internet jagt uns. Man kann auch im Internet surfen und sich mit sich selbst beschäftigen, ohne Frage. Das ist auch kein Aufruf zu mehr Egoismus. Es ist ein Aufruf, wenn schon während des Rests des Jahres uns alles über den Kopf wächst, wenigstens an Weihnachten sich mal die Zeit zu nehmen, sich tatsächlich zu besinnen. Wenn das nicht an Weihnachten passiert, wann denn dann? Es dürfte kein Problem sein Weihnachten ohne Internet zu verbringen. Aber spätestens am ersten Weihnachtstag wird das Internet wieder überkonsumiert werden: "Was hat Karl geschenkt bekommen, was Franz? Alle müssen wissen, was ich lustiges bekommen habe." Die Hetzjagd wird auch an Weihnachten nicht Halt machen. Dagegen wirken kann man mit dem Telefonhörer, mit dem persönlichen Kontakt. Man muss nicht alles sofort sekundenschnell übers Internet erfahren, manche Information wartet auch. 
Muße kann Verzicht auf Internet bedeuten, das kann ausreichen. Muße kann aber auch bedeuten, dass ich wesentlich mehr machen muss, als mal den Rechner oder das Handy links liegen zu lassen. Wem es erfolgreich gelingt sich in Muße zu probieren, wird wissen woher der Appell kommt. Aus der inneren Ruhe. 

In diesem Sinne wünsche ich besinnliche Festtage.


her

P.S.: Vor dem Hintergrund müsste man erwarten, dass am zweiten Weihnachtstag, also am Sonntag, kein Text erscheint. Dem ist nicht so, Muße kann auch bedeuten Mein Block zu schreiben. Frohes Fest!    

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen