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Das deutsche Dilemma

Die deutsche Nationalmannschaft hat auf ganzer Linie versagt. Gegen Spanien war es noch eine unglückliche Niederlage, gegen Frankreich schlechthin ein peinliches Debakel, am Ungarn-Spiel konnte man kein gutes Haar mehr lassen und gegen Norwegen... ohne Worte. Natürlich geht es um Handball, für alle diejenigen die gänzlich nichts mitbekommen haben: seit gut anderthalb Wochen findet in Schweden die 22. Handballweltmeisterschaft statt. Das deutsche Resultat steht noch nicht abschließend fest, erst heute abend gegen 18 Uhr stellt sich in einem Duell auf Augenhöhe heraus, ob Argentinien oder Deutschland den 11.Platz belegen wird. Das Spiel um die zu oft zitierte "Goldene Ananas". Tragisch, dass es mit den deutschen Handballern so weit kommen musste. Aber das, was sie bisher im Turnier zeigten, ist eine einzige Katastrophe. Völlig leidenschaftslos und behäbig, undynamisch und ohne den nötigen Willen auch mal einen Kilometer mehr zu machen als der Gegner stellten sie eine blamable Leistung zur Schau. Eine Mannschaft ohne jeden Führungsspieler, der in der Not das Wort ergreifen könnte. Ein Lars Kaufmann, von dem man immer noch nicht gemerkt zu haben scheint, wie untalentiert er ist. Ständig versucht er mit der Brechstange durch die Abwehr zu rennen, mit der Folge unzähliger Stürmerfouls und Lattentreffern. Aber er ist natürlich nicht der einzige Schuldige. Möglicherweise haben wir gar keine Mannschaft gesehen, sondern nur eine Kollektion an Einzelspielern, die überhaupt nicht zu einander passten. In den besonders schlechten Spielen fehlte jedes Spielverständnis, keine Kombinationen, kein Spielfluss. Es war einfach nur erschreckend schlecht. Einziger Lichtblick: das Spiel gegen Island. Zeigte die deutsche Nationalsieben dort erstmals ihre Klasse? Vermutlich nicht. Es war ein richtig schönes, ein ansehnliches Spiel und dennoch geht es neben der Schwäche der anderen Leistungen einfach unter. Im Sport wird als aller erstes die Ursachenforschung betrieben. Wie konnte es soweit kommen? Was wurde falsch gemacht? Was sind die Faktoren, die die Mannschaft zu solchen Leistungen gebracht haben? Wie immer wird reflexartig der Trainer in Frage gestellt: Erreicht Heiner Brand die Mannschaft noch? Wird er nach der WM alles hinschmeißen? 

Doch das Schlimme ist diese Lethargie. Dieser Zustand des Nichts. Wäre es ein erbitterter Kampf gewesen, hätte man mit Stolz sagen können: 'Diese Mannschaft hat alles gegeben, aber zu mehr reicht es im Moment nicht', ich wäre wenn auch nicht glücklich, zumindest aber zufriedener. Aber so war es nicht. Es gab keinen Kampf, es gab nur Lethargie, Behäbigkeit. Ein furchtbarer Zustand. Der deutsche Handball wird sich reformieren müssen. 

Erinnern wir uns zurück, vier Jahre zuvor. Die Handballweltmeisterschaft 2007 in Deutschland. Der krönende Abschluss eines Volksfestes, nach der gelungenen Fußball-WM 2006, Deutschland wurde Weltmeister. "Deutschland - Ein Wintermärchen", hieß es. Und tatsächlich konnte man den Eindruck gewinnen, Handball ist populär geworden. Die Leute redeten in den Kneipen über die Spiele, auch wenn sie keine Handballer waren. Die deutsche Mannschaft zeigte einfach eine Leistung, die begeisterte, die alle mitzog, ob vom Fach oder vom Fußball. Die Stimmung in der Kölnarena bei Spielen mit deutscher Beteiligung waren mit entscheidend für den Weltmeistertitel, es war eine unglaubliche WM, von der man sich doch so viel erhoffte. Projekte wurden ins Leben gerufen, bei denen die WM-Helden in den Schulen für den Handballsport werben sollten, die Zahl der Neuanmeldungen in den Vereinen stieg nach dem Titel enorm an. Handball etablierte sich zur sicheren Nummer 2 der Ballsportarten und man war sich sicher, so wird das auch bleiben. War die EM 2008 noch von viel beachtetem Interesse, so sank die öffentliche Aufmerksamkeit doch stetig bergab. Natürlich schauten immerhin noch fünf Millionen Zuschauer die deutschen Spiele 2011, aber das sind nicht viel mehr als der hart gesottene Kreis an Vereinshandballern. Durch gute bis überragende Leistungen bei der WM hätte sich schnell rumgesprochen, dass es sich lohnt die Spiele einzuschalten. Handball hätte wieder die Gespräche dominiert. So ist es aber nicht gekommen. Weil im Fernsehen niemand Lustlosigkeit sehen will. 

Das Spiel um Platz 11 wird heute bei Sport1 live übertragen. Auch das ist schon ein Absturz. Wurden die bisherigen Spiele doch alle bei ARD und ZDF übertragen, so haben sie dieses "billige" und lächerliche Spiel an das Privatfernsehen abgegeben - "Wer will das schon sehen?". Gerhard Delling, der sonst bei der ARD die deutschen Spiele moderiert hat, musste auch dringend gestern Abend dem DFB-Pokal beistehen, offenbar gibt es gar keinen anderen mehr. So beorderte die ARD Delling zurück, das Thema Handball-WM ist für die öffentlich-rechtlichen gelaufen. Alternativ zeigen sie heute  "Marienhof" oder "SOKO Stuttgart" oder so was ähnliches. Was für eine Blamage für die beiden deutschen Sender. Anstatt der Mannschaft noch einen ehrenwerten Abgang in der "Öffentlichkeit" zu gönnen, schieben sie die Sieben zu einem Privatsender ab. Das ist schon ein deutliches Zeichen mangelnder Wertschätzung, man beachte nur die Tour de France. Trotz ständiger Doping-Vorwürfe und obwohl jedermann weiß, dass es kaum noch einen sauberen Teilnehmer gibt, überträgt die ARD munter weiter. Verbrecher zeigen sie, deutsche Handballer, die um Platz 11 spielen, nicht. Wen wundert es da, dass der Sport an Popularität einbüßen muss. 

Die Zeiten werden auch für die Handballer wieder besser werden. Möglicherweise muss ein neuer Bundestrainer gefunden werden, neue Spieler entdeckt und gefördert. Das braucht Zeit. Zeit, die eine so fragile Sportart wie der Handball nicht hat. Zumindest nicht mehr, nachdem sie uns so vorgeführt haben. Eine Nationalmannschaft repräsentiert schließlich auch ihr Land. Ich habe mich dabei geschämt. Der Handball wird nur durch sich selbst wieder beliebter, er kann nur durch Erfolge auf sich aufmerksam machen, so ist das leider. Typen, die für den Sport werben könnten, wie ein Stefan Kretzschmar oder Christian Schwarzer haben ihre Zeit schon hinter sich. Um neue Typen zu bilden, braucht es aber wieder Erfolge. Und das braucht Zeit. Das Dilemma ist perfekt. 


her 

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