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Recht auf Selbstdarstellung

Täglich bewegen wir uns im Internet. Oft mehrere Stunden. YouTube, Facebook, Google, StudiVZ, T-Online, Spiegel-Online, Amazon... Wir hören Musik im Internet, wir suchen und recherchieren im Internet, wir informieren uns im Internet über politisches Geschehen, Sport oder Bekanntschaften. Das war nicht immer so. Es ist doch schon überwältigend, wie viel Zeit uns das Internet raubt. Wollte man ein Buch kaufen musste man umständlich in die nächste Buchhandlung, das heißt aufstehen, Schuhe anziehen und drei Straßen weitergehen. Heute: ein Klick bei Amazon, schon ist es versandkostenfrei im Warenkorb. So einfach geht das. Musik, ach ja. Was habe sogar ich schon vor Jahren für einen Aufwand betrieben, um an Musik zu kommen. Im Radio hab ich gelauscht und 'Zack', wenn das Lied endlich kam, hab ich schnell auf 'REC' gedrückt und mit Kassette mitgeschnitten. Das ist noch nicht so ewig her, weil so alt bin ich nun auch wieder nicht. Informationen kamen aus dem Fernseher, tagesschau um 20 Uhr, heute-journal um 21.45 Uhr. Oder Videotext, Radio oder mein liebstes Medium: die Zeitung. Ja, man kann sagen früher waren die Informationen, die uns ereilten noch gut gesät. Wir wurden nicht überschüttet von Dingen, die uns nie interessiert haben oder von 301 mal der selben Information. Heute stehen wir unter einem solchen Informationsüberfluss, dass unsere Hauptaufgabe eigentlich darin besteht Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wohl dem, der es beherrscht. 

Das Internet ist im Jahre 2011, und zugegebenermaßen auch zwei bis drei Jahre davor, zu einer Art Lebensraum geworden. Die Zeit, die wir im Internet verbringen fehlt häufig an anderen Enden und Ecken. Weil wir häufiger im Internet sind, telefonieren wir seltener. Zum Beispiel. Man "sieht" sich ja im Internet. So ein Profil in einem "sozialen Netzwerk" ist ein Teil von einem selbst. Die Erkenntnis erscheint banal - ist sie aber nicht. Reichte es früher aus die Musik lediglich zu hören und zu Konzerten zu gehen oder gemeinsam Musik auch zu machen, so muss das heute noch im Internet produziert werden. Soll heißen, hab ich vor Jahren ein Lied einfach für mich gehört und mich daran gefreut hat mir das gereicht. Heute, muss man im Internet posten, welches Lied man gerade auf YouTube hört und welches "gefällt". Bilder gehören auch dazu, zu so einem Profil. Natürlich auch ein Teil der Persönlichkeit. Man versucht sich so gut wie möglich darzustellen auf seinem Reich im Internet. Will man sich doch selbst inszenieren. Niemals war die Möglichkeit sich selbst darzustellen größer. Niemals die Profilierungsvarianten verschiedener. So stellt sich selbstverständlich auch der Blogger selbst dar. Auch er betreibt Selbstinszenierung. Ohne Frage. 
Was aber steht im Mittelpunkt der Selbstinszenierung? Was kommt zurück? Was  nehme ich mit, was habe ich von dieser Art Darstellung meiner selbst? 
Die Zahl steht im Vordergrund. Statistiken wo wir kommen und gehen. So kann ich mit gutem Beispiel voran gehen: blogspot, also google stellt mir hier als Blogger die Funktion "Statistiken" zur Verfügung. Damit ich immer sehen kann wann jemand auf meinen Block zurückgreift. Ich sehe wieviele Leute pro Stunde, pro Tag, pro Woche, Monat, Jahr auf meine Seite klicken, ich sehe sogar von welchem Land aus sie das tun, ich sehe welchen Browser sie benutzt und welches Betriebssystem sie installiert haben. Ich sehe auch welcher Eintrag wie oft und wann angeklickt wurde. Ich kann also optimale Erkenntnisse daraus gewinnen, welcher Eintrag ist besser angekommen? Welcher wurde weniger oft angeklickt? Das sehe ich alles. Das habe ich ja schon in meiner Qualitätsanalyse herausgearbeitet. Aber wozu soll das eigentlich gut sein? Interessiert mich das wirklich, dass jede Woche mindestens 4 Personen aus Australien auf Mein Block zugreifen? Gibt mir das was? So ein bisschen Selbstwertgefühl? 'Yeah, ich hab's geschafft!' Ganz und gar nicht. Mein Block ist ein winziger Beitrag im überschwemmten Netz, in dem jeder frei publizieren kann was er will. Bestätigung gibt da nur die Statistik. Abgesehen von dem einen oder anderen Hardcore-Nutzer, der immer informiert ist, was einen natürlich ungemein freut. Aber die Statistik beweist dann immer wieder, dass es doch genug Menschen gibt, die meine Sülze hier lesen. Meine Selbstdarstellung findet Bestätigung im Netz. 
Und so funktioniert das auch mit Profilen bei Facebook. Niemals würde ein Facebook-Nutzer zugeben, dass er auf den Stand seines Freundezählers stolz wäre. Um Gottes Willen. Aber insgeheim ist es die Bestätigung für die Inszenierung. 379 Facebook-Freunde. Ich weiß nicht, ob das viel oder wenig ist - ich nutze es zum Glück nicht - aber ich glaube schon, dass das dem einen oder anderen einen gewissen Auftrieb gibt. Zu sehen, boah ich hab doch mehr Freunde als ein anderer, das ist doch was. Die Bestätigung für einen Facebook-Nutzer ist die Anzahl seiner vermeintlichen Freunde - unausgesprochen natürlich. Denn das ist ja nun wirklich egal, darauf kommt es ja auch nicht an, wie einem jeder bei Facebook versichern wird. Aber natürlich steht die Zahl im Vordergrund. Warum sollte sich die Privatperson da von Unternehmen unterscheiden? Natürlich zählen auch so große Seiten wie Spiegel-Online ihre Nutzer und ziehen daraus Konsequenzen. Wer auf Facebook nur einen vermeintlichen Freund hat, der wird nicht lange auf der Seite bleiben. Wer Angst davor hat, nicht über einen vermeintlichen Freund hinauszukommen, wird sich gar nicht erst anmelden. 

Wir alle betreiben Selbstinszenierung im Internet, das ist unser gutes Recht. Aber wir tun dies nicht aus reinem Vergnügen, wir versuchen darüber Bestätigung für unsere Persönlichkeit zu finden. Wer ein völlig abgedrehtes Hobby hat, wie zum Beispiel Kugelfische sammeln und sich damit alleine fühlt, kann im Internet heute Hobbyfreunde finden, die auch Kugelfische sammeln. Auch das ist Bestätigung. Wer sieht, oh - es gibt ja einen Kugelfischsammlerclub mit 1394 Mitgliedern, der fühlt sich in seinem Hobby bestätigt. Ganz einfach. Wer einen Blog schreibt und sieht, oh - es kommen jeden Tag um die 50 Leute auf meinen Blog, der fühlt sich in dem was er schreibt ebenso bestätigt. Und wer bei Facebook 379 vermeintliche Freunde hat, der hält sich für nen tollen Typen, also ebenso Bestätigung. 
Inszenierung und Bestätigung. Die beiden Dinge sind unzertrennlich, die Frage ob es verwerflich ist sich nur an Zahlen zu orientieren oder nicht, die steht auf einem ganz anderen Blatt. Auf jeden Fall gehört einiges an Stärke dazu auch ohne Bestätigung die Inszenierung fortzusetzen. Mut und Ausdauer braucht derjenige, der auf Bestätigung verzichten kann. 

Das kann doch nicht so schwer sein, oder ?



her   

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