Die Unschuldsvermutung ist eines der tragenden Grundprinzipien des deutschen Strafrechts. In den Artikeln 20 und 28 des Grundgesetzes ist es zwar nicht ausdrücklich niedergeschrieben, aber es ist allgemein anerkannt, dass sich diese bedeutsame Regelung aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet. Sie besagt: Jedermann ist unschuldig, bis ihm zweifelsfrei die Schuld nachgewiesen wurde. Die sogenannte Beweislast liegt bei der Staatsanwaltschaft. Sie muss die Schuld beweisen, nicht der Angeklagte seine Unschuld. Die Staatsanwaltschaft ist angewiesen in beide Richtungen zu ermitteln. Also müssen sowohl Beweise für Schuld, als auch für Unschuld von der Ermittlungsbehörde gesammelt werden. Die Unschuldsvermutung ist aus dem deutschen Recht nicht mehr wegzudenken. Sie dient in erster Linie dem Schutz des Angeklagten vor falscher Verdächtigung. Später, wenn einmal ein Vorwurf an einer Person haftet, wird diese Person den Vorwurf nur ganz schwer wieder los. Wenn überhaupt.
Der Staat ist dazu angehalten sich an die Unschuldsvermutung zu halten. Für die Gesellschaft, für die Öffentlichkeit gilt dies wahrlich nicht. Einmal Vergewaltiger, immer Vergewaltiger. So sieht das wohl die breite Masse. Beispiele dafür bietet die gegenwärtige Prominenz zu Hauf. Aktuellstes Beispiel auf deutschem Boden ist sicherlich Jörg Kachelmann, der sich seit fast anderthalb Jahren des Vorwurfs der Vergewaltigung ausgesetzt sieht. Seine Schuld ist bis zum heutigen Tag nicht zweifelsfrei bewiesen, dennoch fordert die Staatsanwaltschaft mindestens vier Jahre Haft für Kachelmann. Sie begründet das mit Indizien und sich widersprechenden Zeugenaussagen und psychologischen Gutachten. Für vier Jahre Haft sollte der Stand der Dinge eigentlich nicht ausreichen. Aber was soll die Staatsanwaltschaft Mannheim machen? Die Gesellschaft, die Presse, die Öffentlichkeit - von allen wird sie, wenn auch unbewusst, unter Druck gesetzt. Vergewaltiger sind Schwerverbrecher, das soll hier nicht geschmälert oder verschleiert werden. Auch das muss in dem Zusammenhang immer wieder gesagt werden, sonst wird man in dieselbe Ecke gedrängt. Aber gerade weil die Vergewaltigung zu dem schlimmsten Verbrechen gehört, die wir Menschen uns vorstellen können, haben Verdächtigte oft die allerschwersten Karten. Kachelmann jedenfalls wird nie wieder eine deutsche Wettersendung moderieren können. Nur, weil an ihm der Verdacht haftet.
Auf amerikanischem Boden ereignete sich vor etwas über einer Woche ein Spektakulum, das weltweit Aufsehen erregte. Der IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn (DSK) wurde, schon im Flugzeug nach Paris sitzend, von der New Yorker Polizei verhaftet. Der Vorwurf: versuchte Vergewaltigung am Zimmermädchen. (Alice Schwarzer konnte bei Anne Will nicht oft genug betonen, dass es sich dabei um eine schwarze Putzfrau handele. Da der Sinn dieser Kennzeichnung nicht offensichtlich ist, wurde hier darauf verzichtet.) Nun DSK ist Franzose, die ihm vorgeworfene Tat soll er aber auf amerikanischem Boden begangen haben. Die Konsequenz ist die Anwendung amerikanischen Rechts. Es drohen ihm bis zu 25 Jahre Haft. Ein in Deutschland unvorstellbar hohes Strafmaß. Selbst die lebenslange Strafe kann nach 15 Jahren der Inhaftierung bei guter Führung vorzeitig aufgehoben werden. Doch das Strafmaß mag man angemessen finden. Sowohl das deutsche, als auch das amerikanische. Was vollkommen unangemessen erscheint ist die Behandlung der amerikanischen Behörden DSKs. Der sogenannte "Perp Walk" fiel über ihn ein. Das ist der Gang, den ein amerikanischer Angeklagter über sich ergehen lassen muss: In Handschellen, völlig demontiert und mit den Vorwürfen sichtbar ergriffen, musste sich DSK an den gierigen Fotografen und Kameraleuten vorbeiquälen. Unschuldsvermutung? Da denken sich die Amerikaner: Scheiß drauf! Michael Bloomberg, ehemaliger New Yorker Bürgermeister, sagte zum "Perp Walk": "Willst Du auf den Perp Walk verzichten, dann begehe keine Straftat." Es ist die absurde Verkehrung des deutschen Rechtsgedanken der Unschuldsvermutung.
Der Vorgang, der über DSK hineinfällt, würde sich in Deutschland niemals so abspielen. Trotz Bild-Zeitung und Fotografen-Meute, einen Restanstand wahrt sich die Bundesrepublik. Sollte sie zumindest. Es fällt ihr im Zuge der Amerikanisierung deutlich schwerer. So war das Thema der ARD-Sendung Anne Will völlig verfehlt. Auch der öffentlich-rechtliche Sender schaffte die Unschuldsvermutung kurzfristig ab. Was haben DSK, Berlusconi, Schwarzenegger und Kachelmann miteinander gemeinsam? "Alles Vergewaltiger." Ein absurder Gedanke, den die Redaktion da geritten haben muss. Einzig die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hielt in der Runde die Unschuldsvermutung hoch. Sie konnte sich zum Glück nicht dazu durchringen über etwas zu urteilen, was so noch nicht bewiesen ist. Wie kam die ARD dazu den Fall DSKs als Beispielsfall dafür zu nehmen, dass mächtige Männer glaubten, sie könnten sich alles erlauben und jede Frau nehmen? Es schmerzt ein wenig, wenn ein doch so anerkannter Sender die Grundsätze des deutschen Rechtsstaatsprinzips mit Füßen tritt und es kommt einer Blamage gleich. Es bleibt die Hoffnung, dass es unter Jauch irgendwann wieder aufwärts geht in der ARD.
Auf die Unschuldsvermutung.
her
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