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Bock auf Grünzeug

Ich bin es leid. Nein ernsthaft, es nervt einfach nur noch. Jetzt haben die doch tatsächlich schon in meiner Standard Cafeteria die Salatblätter, Tomaten und Gurken von den Brötchen genommen. Die leckeren Laugenstangen, Baguettes und Körnerbrötchen liegen jetzt völlig verdörrt nur mit Brie, Salami, Schnitzel oder Frikadelle belegt herum und sollen zum selben Preis verkauft werden. Über der Theke steht ein Schild: "Derzeit bieten wir unsere Brötchen ohne Tomaten, Gurken und Salat an." Ach was. Die trostlose Veranstaltung in der Vitrine ist mir doch gleich aufgefallen. 
Aber ehrlich gesagt, gewundert hat mich das nicht mehr. In den Supermärkten liegen entweder gar keine Salatgurken mehr oder aber tonnenweise. Tomaten, Blattsalat - das Angebot hat sich stark reduziert. Es ist schon reichlich kurios, wie ernst die Deutschen ihre Politiker nehmen, wenn es um Warnungen geht. Kaum sagt eine Hamburger Gesundheitssenatorin man solle lieber auf spanische Gurken verzichten, um sich vor EHEC zu schützen, schon kaufen wir Deutsche keine spanischen Gurken mehr. Und weil es so schön ist, auch keine Tomaten mehr und keine Salate. Am besten eigentlich überhaupt keine Gemüse mehr. Nicht mehr nur aus Spanien, sondern aus Holland, Deutschland, Südsibirien und Nordkorea. BGT - Blattsalat, Gurke und Tomate - die Abkürzung des Schreckens. Wir lassen es einfach liegen, kaufen es nicht mehr. Weil wir Angst vor dem Tod haben. Tod durch spanische Gurke. Das könnte ich mir doch gut auf meinem Grabstein vorstellen. Aber frühestens in 70 Jahren bitte. 

Ja, ich mache auch mit. Esse seit der Warnung auch kein BGT mehr. Und auch weil ich Angst habe. Die Frage ist doch: Ist der Verzicht auf BGT Hysterie oder legitime Vorsichtsmaßnahme? 

Wie viel Risiko hinter dem Verzehr von rohem Gemüse aus Spanien, Holland oder Deutschland oder sonst woher steckt, weiß wohl niemand so genau. Gestern morgen waren noch die Sprossen Schuld, gestern abend schon nicht mehr. Es ist alles so nichtssagend, so unklar im Fall EHEC. Selbst die selbsternannten Experten geben keine Ratschläge, was wohl ein klarer Ausdruck ihrer Ratlosigkeit ist. Alles könnte gefährlich sein: das Marzipanschweinchen, das von Weihnachten übrig geblieben ist, das medium gebratene Hüftsteak vom Rind oder eben der sommerlich-luftige Salat mit Tomate und Hänchenbrust. Nun, gerne ergebe ich mich als Gemüseesser zu erkennen. Zweimal die Woche esse ich mit großer Freude einen Salat. Doch gefühlt seit einer Ewigkeit verzichte ich darauf, und warum? Weil der Hauch einer minimalen Chance besteht, dass in meinem Salat EHEC-Bakterien sind. Nach gesundem Menschenverstand besteht sie gar nicht. Rein wissenschaftlich besteht sie schon. 

Wir sind schon ein komisches Volk. Wir wohnen neben Atomkraftwerken, machen Bungeejumping, haben ungeschützten Geschlechtsverkehr, schnallen uns beim Autofahren nicht an und überholen von rechts, fahren über Rot - verzichten aber auf Tomaten, Gurken und Salat. Und das nur, weil ein paar Politiker das gesagt haben. Da sage noch mal jemand, wir Deutsche seien politikverdrossen. Es müssen nur die richtigen Meldungen kommen, schon sind alle aus dem Häuschen. Wie skurril dieser Widerspruch ist: Ungesundes Essen wird gesund, gesundes Essen ungesund. Bloß kein Risiko. 

Wenn ich an mein morgiges Mittagessen denke, schreit mein Magen: "Bock auf Grünzeug." Und zwar so richtig. Aber ich verzichte, wohl wissend dass ich einer Hysterie erlegen bin und der Wahnsinn bald wieder ein Ende hat. Dann kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, zumindest mit Gurken habe ich mich nicht unnötig gefährdet. Es ist doch schön zu wissen, dass man in gewisser Hinsicht einfach typisch deutsch is(s)t. 


her     

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