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Selbsteinschätzung: ungenügend

Die Kunst der Selbsteinschätzung ist seit jeher eine Eigenschaft, die nur sehr wenige Menschen beherrschen. Manche schätzen sich selbst gerne viel schlechter ein als sie sind - andere schätzen sich deutlich besser ein. Dabei sollte man noch zwischen Innen- und Außenwelt unterscheiden. Wie sich die Menschen in der Innenwelt einschätzen, erfahren nur die wenigsten. Zumeist sind das dann enge Freunde oder Verwandte. In der Außenwelt sieht das alle schon ganz anders aus: Dort geben wir gerne vor jemand zu sein, der wir nicht sind. Der eine macht sich bewusst besser als er sich selbst sieht. Sowas nennen wir dann arrogant, selbstherrlich oder realitätsfern. Jemand anders macht sich bewusst schlechter, als er sich selbst sieht. Das mögen wir auch nicht und heißt im Englischen "understatement". Man macht sich bewusst schlechter, um sympathisch zu erscheinen. Eine sinnfreie Idee. 
Nun gilt das, was für Privatpersonen bezüglich der Selbsteinschätzung gilt, auch für Politiker und Regierungen. Also auch für Angela Merkel, Norbert Röttgen, Philipp Rösler und Konsorten. Wie deren Selbsteinschätzung in der Innenwelt aussieht, erfahren wir nicht. Weil wir weder Freunde, noch Verwandte dieser Leute sind. Zum Glück. Wie ihre Außeneinschätzung ausfällt, bekommen wir jedoch täglich mit. In Pressekonferenzen, in Zeitungsinterviews, im Fernsehen. Ein gutes Beispiel für die riesige Diskrepanz zwischen der Volkseinschätzung der Regierung und der Regierungseinschätzung der Regierung ist die sogenannte Energiewende. Das Wort ist an sich schon eine Katastrophe, aber dennoch wird es überall gern genutzt. 

Wenn ich mich an das Ende des vergangenen Jahres erinnere, fällt mir als erstes die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ein. Ein "Meilenstein" war das und sogar eine "energiepolitische Revolution", die uns die Regierung da verkauft hat. Die Laufzeitverlängerung war schlechthin das Regierungsprojekt. Wenn es etwas gab, das man mit Schwarz-Gelb verbinden konnte, dann die Laufzeitverlängerung. Nicht, dass die Regierung stolz sein konnte auf dieses Projekt. Schließlich setzte sie die neuen Atomgesetze gegen den Willen der Mehrheit des Volkes durch. Das alles roch sehr merkwürdig, mit Hinterzimmern und Deals zwischen Bundesregierung und Energiekonzernen. Nicht schön. 

In gewisser Weise erlebte ich am Dienstag ein Déjà-Vu. In der Bundespressekonferenz saß wieder dieser Herr Röttgen, ich glaube er hat zwischendurch die Brille gewechselt, aber dafür denselben Anzug an. Neben ihm Philipp Rösler und ja, wie heißt Minister Ramsauer eigentlich mit Vornamen? Egal, jedenfalls bildete dieses Trio die Vertretung der Bundesregierung, die einen "Meilenstein" verkünden durfte. Ein "Meilenstein" in der Energiepolitik. So stolz sind die Minister auf den Konsens, den sie glauben hergestellt zu haben. Dabei haben sie letztendlich nichts anderes getan als das, was sie wenige Monate vorher "Revolution" nannten, mal eben vom Tisch zu wischen. Volle Kanne zurück. Erst Laufzeiten verlängern, jetzt Laufzeitverlängerung streichen. Was kommt dabei raus? 

Richtig, der rot-grüne Atomkonsens von 2002. Jener Konsens, den Schwarze und Gelbe verhindern wollten. Jener Konsens, den sie bekämpften über Jahre hinweg. Jener Konsens, den sich Schröder und Fischer auf die Fahnen schreiben können. Aber niemals eine Angela Merkel oder ein Norbert Röttgen. Verallgemeinerungen gefallen mir nicht und die Bezeichung des "Lügenkabinetts" wäre zu pauschal. Es bleibt jedoch dasselbe. Schwarz-Gelb hat seine poltische Grundausrichtung verraten. Sie haben das gemacht, weshalb die Wähler sie genau nicht gewählt haben. Und jetzt stellen sie sich hin, in den Raum der Bundespressekonferenz, und verkünden sie hätten einen Atomkonsens gefunden. Sie hätten einen Meilenstein in der Energiepolitik gelegt. Das ist das schlechteste und dümmste was ich je gehört habe. 

Angela Merkel hat ihre sogenannte Energiewende damit begründet, dass ein für sie unvorhersehbares Risiko eingetreten ist. Dabei war es das Risiko, vor dem sie alle Atomkraftgegner immer gewarnt hatten. 



her     

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