Seiten

Du Gutmensch!

Wie kommen die jetzt auf das Thema? Die Frage stelle ich mir bei Talksendungen, wie der von Anne Will, immer wieder. "Sehnsucht nach einer besseren Welt - brauchen wir mehr 'Gutmenschen'", lautete die am Sonntag diskutierte Frage. Zu Gast waren neben Sebastian Krumbiegel, Sänger der "Prinzen"; Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Ba-Wü; Norbert Bolz, sogenannter Medienwissenschaftler auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Martin Lindner (nicht zu verwechseln mit seinem jüngeren Namensvetter Christian) und die als Gutmensch "beschimpfte" Margot Käßmann, die betrunken Auto gefahren ist. Was für ein Konsortium der Absurditäten. Ein Sänger, ein Wissenschaftler, zwei Politiker und eine Bischöfin. Und dann eine Anne Will, die die Frage nach der Sehnsucht stellt. Sehnsucht, oh ja - was für ein großartiges Wort. Aber Sehnsucht nach Martin Lindner? Sehnsucht nach dem doch etwas kauzigen Winfried Kretschmann? Wohl eher nicht. 

Gutmensch. Das ist wieder so ein Wort, das eigentlich niemand mehr benutzt. Und bei Anne Will wird das Wort als Beleidigung definiert. Du Gutmensch! Hä? Wenn der Gutmensch etwas Negatives ist, dann müsste das Gegenteil des Gutmenschen etwas Positives sein, wenn mich meine Logik nicht verlässt. Ist also Bösmensch ein Kompliment? Der Duden, ein ebenso aus der Mode gekommenes Wörterbuch (für diejenigen unter uns, die ihre Informationen nicht außerhalb von Wikipedia finden können), gibt allerdings eine solche Marschrichtung vor: "Gutmensch - oft abwertend für jmd., der sich besonders für Political Correctness engagiert". Also doch. Ein Gutmensch wird also als jemand gesehen, der es besser meint. Moralisch abgehoben von jeder Realität, von den tatsächlichen Ansprüchen. Er wird belächelt, als jemand, der es sich zu einfach macht. Moralische Ansprüche hochzuhalten ist einfach, wird damit suggeriert. Die Wirklichkeit zu ertragen ist viel schwerer. Oder wie? 

Margot Käßmann sei ein solcher Gutmensch, finden Bolz und Lindner. Von der Komplexität habe sie doch gar keine Ahnung. Diese würde sie doch wohl überfordern, sie soll endlich zugeben, dass sie nicht alles wissen kann. Auf völlig absurde Weise wollte Medienwissenschaftler Bolz das aus dem Mund der Frau hören, die vor anderthalb Jahren wegen einer Trunkenheitsfahrt zurückgetreten ist. Nur weil sie in Predigten auf aktulles Geschehen eingeht, weil sie Zeitungsbeiträge verfasst, in denen ein Berufspolitiker ohne Rückgrat, ohne Charakter wie Martin Lindner einfach nur schlecht aussehen kann. Sie sagt einfache Sätze wie "Raus aus Afghanistan" oder "Raus aus der Atomkraft". Das sei vereinfachend und unterliefe die "Komplexität" der Wirklichkeit, finden die zwei. Aber sind es nicht die einfachen Wahrheiten, die oft deutlich mehr besagen als verquerte abwägende Relativsätze? Wo wären wir heute ohne Menschen, die einfache Wahrheiten aussprechen? Jedenfalls nicht so weit, als wenn es nur Pragmatiker der Sorte Martin Lindner gäbe. Vielleicht gefällt ihm ja nicht, dass eine Frau hochgejubelt wird, die betrunken Auto fährt, aber Politiker der FDP vernichtet werden, die in Doktorarbeiten fast alles abschreiben. Vielleicht bricht aus diesem fast bemitleidenswerten Mann ja nur der Neid heraus. Neid darauf, niemals selbst auf eine einfache Wahrheit gestoßen zu sein. Neid darauf, niemals selbst beliebt gewesen zu sein. 

Bei der Erschießung Osama bin Ladens durch ein Militärkommando der USA waren sie zu beobachten, die vermeintlichen Gutmenschen. "Nein, da darf man sich nicht drüber freuen", haben sie gesagt. Moralisiert haben sie diese Frage. Ich im übrigen auch. Und auch heute bleibe ich bei der Überzeugung, dass es richtig ist. Gerade in dieser speziellen Einzelfrage war es wichtig nicht unsere Ideale, unsere moralischen Ansprüche verrinnen zu lassen. Vielleicht sind Gutmenschen ja gar nicht so überflüssig, sondern viel mehr als Gewissen der Gesellschaft notwendig. Bezeichnend für die Fehleinschätzung Lindners es bräuche keine Gutmenschen war die Differenzierung zwischen Pragmatismus und Moral. "Wir hier in der Politik leisten die Drecksarbeit", sagte er. Was möchte er? Mitleid? Außerdem: er als Pragmatiker würde die komplexen Probleme lösen, die Gutmenschen nur leicht anskizzieren würden. Das ist kein Widerspruch, keine Gemeinheit der Gutmenschen - nein, das ist schlichtweg sein verdammter Job für den er bezahlt und leider auch gewählt wurde. Ohne Gutmenschen würde es Berufspolitikern wie Martin Lindner an Arbeit fehlen. Eigene Ideen, die sie umsetzen könnten haben sie ja nicht. Also braucht es Gutmenschen, von mir aus auch Margot Käßmann, die sagt: "Raus aus Afghanistan". Damit ein Martin Lindner von der FDP sich hinsetzt und überlegt wie das gehen könnte. Natürlich kann ein normaler Mensch, der nicht Politikjunkie ist und damit sein Geld verdient nicht die ganze Problematik überblicken. Aber will der liberale Herr Lindner deshalb jedem das Recht absprechen seine Meinung zu komplexen Themen zu äußern? 

Margot Käßmann dürfe sich doch privat gerne zu jedem Thema äußern. Aber in der Öffentlichkeit? Bloß nicht, wenn es nach Martin Lindner geht. Sie dürfe alles sagen, wenn es sich nicht gerade gegen seine politische Klasse richte. Meinungsfreiheit? Nein, danke. 
Vielleicht sollten wir uns von dem Gedanken verabschieden Gutmenschen seien ahnungslos und zu vernachlässigen. Wir sollten ihnen Gehör schenken und ihr Gesagtes zumindest gedanklich verarbeiten. Es gibt ohnehin nicht viele solcher Menschen in diesem Lande, denen man zuhört. 


her   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen