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Mehr Demokratie wagen

Vollmundige Versprechen von Politikern sind wir längst gewöhnt. "Wenn ihr uns wählt, dann senken wir die Steuern", "wählt uns, und es gibt keine Atomenergie mehr in unserem Land", "wir führen den flächendeckenden Mindestlohn ein": Die Wahlversprechen sind meistens dieselben, immer versuchend einander zu überbieten. Doch schickt der Wähler den Politiker und die zugehörige Partei anschließend in Regierungsverantwortung, wird er schnell von der Realität eingeholt. Dann merkt er, dass das alles gar nicht so einfach geht. Steuern senken? Wir wollen ja, aber der Koalitionspartner? - Atomenergie? Nein, danke! Aber als Brückentechnologie voerst unverzichtbar. - Mindestlohn? Lässt sich keine Mehrheit in der Regierung für finden. Jaja, blabla. Denken wir uns dann, mit dem freundlichen Verweis: Verscheißert euch doch selber. Nun geht es gerade um keine Wahl, nein es geht um etwas für Parteien viel existentielleres, um ihre Mitglieder. Und diejenigen, die Mitglieder werden sollen. Denn damit haben zweifelsohne alle Parteien ein Problem, wenn man den gegenwärtigen Anstieg der Grünen mal als temporär einstuft. Die Parteien verlieren Mitglieder, weil diese zu alt sind und sterben und nicht genügend neue eintreten. Deshalb hat sich so manche Partei, namentlich und vor allem die SPD, eine Kur verschrieben. Offener soll es werden, jünger, moderner, basisfreundlicher, rücksichtsvoller in Bezug auf die eigenen Mitglieder, mehr Mitwirkungsmöglichkeiten sollen geschaffen werden. Kurzum: die SPD will endlich mehr Demokratie wagen. Behauptet sie. 

Eigentlich fällt es schwer, die Grünen als eine vorbildliche Partei zu bezeichnen. Warum das so ist, kann kaum begründet werden, die Ursache dafür dürfte jedoch vor allem in der parteilichen Historie liegen, wenn man Frauen und Männern in Strickpullovern hat auf dem Parteitag stricken sehen. Doch gegenwärtig verhält sich die Partei vorbildlich, besonders in Bezug auf den demokratischen Aspekt. Die Parteien sind zur Willensbildung da, heißt es schon im Grundgesetz. Die SPD beispielsweise, bildet jedoch derzeit keinen Willen, sondern plappert irgendwelche Stimmungen nach. Was sich in solchen Fällen besonders eignet, zeigen die Grünen. Ihr politisches Kernthema, der Ausstieg aus der Atomenergie, wird aller Voraussicht nach heute im Bundestag beerdigt. Sprich: der Atomausstieg wird beschlossen. Doch die Partei macht es sich nicht einfach und sagt: "Wir stimmen einfach alle zu, weil wir ja immer schon aus der Atomkraft rauswollten", sondern die Partei ruft einen außerordentlichen Bundesparteitag ein, um über das Abstimmungsverhalten im Bundestag zu beraten. Die Partei fragt ihre Mitglieder um Rat, könnte man sagen, wohlwollend. In Zeiten von höchster politischer Brisanz, in der den Grünen das Kernthema abhanden zu kommen droht, heißt es "Zurück zu den Wurzeln". Wenn eine schwierige Entscheidung getroffen werden muss, dann werden die Mitglieder, beziehungsweise die Delegierten. Das verdient Respekt. 
Respekt vor dieser Offenheit, vor dem Mut und vor so viel Arbeitsaufwand. 

Ja, Arbeitsaufwand ist das richtige Wort. Wie viel Energie die Partei der Grünen in diese "Bundesdelegiertenkonferenz" gesteckt haben muss, wie viel Nerven das jeden einzelnen von ihnen gekostet haben darf. Und dennoch haben sie das gemacht. Aus Respekt vor dem eigenen Mitglied. Und um zu etwas zurückzukehren, was schlechthin konstituierend für eine Demokratie ist: der Meinungsaustausch in Form der Diskussion. 
Gerade das fehlt der SPD, die noch so oft von Parteireform sprechen kann. Es hilft alles nichts, wenn davon beim einfachen Mitglied nichts ankommt. Die Mutter aller Parteien, die SPD, kann sich von einer der jüngsten Parteien, den Grünen, eine gehörige Scheibe abschneiden. Sie sollte nicht mehr Geld in Internetauftritte, Berater und bunte Fähnchen investieren, sondern vor allem mehr Kraft in den Dialog mit den eigenen Mitgliedern, nur dann wird die sozialdemokratische Partei wieder demokratisch. Aber das steht in weiter Ferne. 


her

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