Der Wutbürger sei ein Bildungsbürger hieß es immer. Gebildet, wohlhabend und konservativ. Fernsehen wie Zeitungen wollten das Erscheinungsbild möglichst selbst bestimmen. Nicht die verrückten Linken seien es, die mal wieder einen Anlass zum Steineschmeißen suchten, nein, diesmal das breite Bürgertum. Mit der Palette von links nach rechts. Und geklappt hat es auch: Das Bild des typischen Stuttgart 21 - Demonstranten gibt es gar nicht. Mal ist es ein Walter Sittler, der im Anzug auftritt, dann Oma mit Baseballkappe und Schlapperhose. Was waren das noch für Zeiten - damals - vor der Schlichtung. Alles hatte seine Ordnung. Die selbsternannten "Montagsdemos" fanden regelmäßig mit Hunderttausenden Demonstranten statt, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit stimmte. Sympathie bestimmte weite Teile in Deutschland. Zwar immer lächelnd, aber doch verständnisvoll reagierte man anderswo, angesprochen auf den Stuttgarter Zustand. Vielleicht wollte man auch ein bisschen Teil der Masse sein, der Trendmasse, die vorgibt, dass es hip ist auf Demos zu gehen und hinterher im Café eine Bionade für 3,50 Euro zu bestellen.
Und doch: Wenn eines prägend bleibt von den Demonstrationen, dann ist es die Farbe grün. Plakate sind grün, Banner sind grün, T-Shirts sind grün, Kappen sind grün, Fahnen sind grün - alles grün. Zufall? Sicher nicht. Die Partei, die genauso grün ist, machte sich den Protest um das umstrittene Bauprojekt Stuttgart 21 zu eigen. Sie waren es, die als einzige von der Anti-Tiefbahnhof-Stimmung im Ländle profitierten. Die einzigen, die sich klar dagegen bekannten. Die einzigen, die immer mit dabei waren, wenn es hieß: Anketten an Bäume oder "Oben bleiben" skandieren. Belohnt für ihre Standhaftigkeit beim Thema wurde die Partei mit Regierungsverantwortung im Stuttgarter Landtag. Zum ersten Mal dürfen sie dort einen grünen Ministerpräsidenten stellen. Doch nützt ihnen das was? Die Bahn hat gestern verkündet, der Tiefbahnhof S21 würde den Stresstest, der vom Schlichter Heiner Geißler angeordnet wurde, bestehen. Damit würde ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur Durchführung entfernt. Langsam aber sicher müssen sich die Stuttgarter darauf einstellen, dass der Bahnhof gebaut wird. Nur: Die Demonstrationen gehen weiter, auch wenn der Ministerpräsident ein Grüner ist und bald die Staatsgewalt zu verantworten hat.
Das wird nämlich immer häufiger nötig. Am letzten Montag beispielsweise stürmten einige Demonstranten die Baustelle. Dabei verletzten sie insgesamt sieben Polizisten. Auf einen Zivilpolizisten schlugen sie unentwegt ein, auch als dieser schon am Boden lag. Tritte ins Gesicht sind auf manch einem Bild zu sehen. Der Streit, der doch eigentlich als geschlichtet galt, eskaliert in die Gewalt. Der vermeintliche Bildungsbürger, der sich der Sache intellektuell widmet, rastet aus und richtet Schaden in Millionenhöhe an. Die Bionade-Trinker verprügeln Polizisten. Manch einem scheint es hier mit der Realität durchzugehen. Die Süddeutsche Zeitung machte den treffenden Vergleich: "Es geht hier nicht um einen afrikanischen Völkermord, sondern um den geplanten Bau eines Bahnhofes." Die Relation scheint den Demonstranten langsam aber sicher verloren zu gehen. Wer Gewalt anwenden will, um Bäume zu schützen, muss sich vorwerfen lassen falsche Prioritäten zu setzen. Egal, ob Parkschützer, Grüner, Kommunist oder Konservativer.
Von den hundertausenden Demonstranten sind am gestrigen Montag nur noch knapp 2000 auf die Straße gegangen. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass ein Großteil der Gegner das Prozedere verstanden hat. Stresstest-Ergebnis abwarten und vor allem: das Ergebnis akzeptieren. Das gehört nämlich zu Demokratie dazu. Wie heißt es so schön in jedem Staatsrecht-Lehrbuch: "Die Entscheidungen der Mehrheit sind maßgeblich und müssen von der Minderheit akzeptiert werden." Das wird als zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie genannt. Was aber, wenn 2000 Demonstranten genau das tun, was sie an der Bahn kritisiert haben? Eine Entscheidung ohne das Volk sei der Stuttgarter Bahnhof, hieß es immer. Jetzt saßen alle Parteien über Wochen an einem Tisch und haben einander zugehört und Kompromisse geschlossen. Die 2000 Demonstranten aber zeigen sich als schlechte Verlierer und zeigen sich nun selbst unfähig Kompromisse zu akzeptieren. Das ist schlecht für Stuttgart, für die Grünen und für die Anti-Stuttgart 21 - Bewegung, die dadurch immer weiter an Sympathie einbüßt.
her
Sehr gut geschrieben, denn es trifft den Kern!
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