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Stellt euch vor...

Henning Rasche

...es wäre alles aus Glas. Die Konzernzentrale von Aldi Süd in Rheinberg wäre gläsern, genau wie das Rathaus der niederrheinischen Kleinstadt Wesel. Die Düsseldorfer Commerzbank bezöge ein neues Zuhause mit vier Wänden - allesamt aus Glas. Der Bundestag, der Bundesrat, das Bundeskanzleramt, die Ministerien, sämtliche Einrichtungen der Europäischen Union - ebenso allesamt aus Glas. Und weil das alles immer noch nicht reicht: der Mensch, der einzelne Bürger dieses Landes, er muss genauso gläsern sein. Damit man nicht nur sieht, dass sein Herz tatsächlich noch schlägt, wenn er es behauptet, sondern auch, dass er überhaupt ein Mensch ist. Und weil diese Vorstellung alles und alle wären aus Glas, vollkommen durchsichtig und einsehbar, doch eine so schöne Vorstellung ist, könnte einer damit direkt mal anfangen, sich nackig zu machen. Bundespräsident Christian Wulff, Transparentus I. 



Ja, die Transparenz. Es ist das Wort, dessen Bedeutung zukünftig - nachdem Wunsch so mancher Menschen, deren Hauptbezugspunkt das Internet ist - Affären, wie die des Bundespräsidenten verhindern soll. Die Vorstellung geht so: wenn jeder alles über den anderen wissen kann, wenn jeder jede Behauptung des anderen überprüfen kann, dann sagt keiner mehr die Unwahrheit. Dann traut sich niemand mehr - und schon gar kein Politiker - einen Fehltritt. Aus Respekt vor dem Volk oder besser gesagt: aus Angst vor der Kontrolle im Nacken. Nach eben dieser völlig transparenten Vorstellung hätte Christian Wulff dem Landesparlament in Niedersachsen nie so schöne Dinge wie Kochbücher oder Reisen mit Zentismarmeladen-Tours verschweigen können, weil es schon vorher oder gleichzeitig im Internet nachzulesen wäre. Doch so transparent, so sympathisch diese Vorstellung manch einer finden mag - sie ist fürchterlich. Christian Wulff und mit ihm alle anderen Politiker wären Getriebene ihrer selbst, ständig mit dem Schweiß auf der Stirn einen Fehltritt zu begehen. Die Kontrolle des Staates, der Regierung, sie obläge nicht mehr nur dem Bundesverfassungsgericht und den Medien, sie würde zur Aufgabe jedes Freizeitaktivisten.
Ist dies das Ziel? Absolute Kontrolle von jedem durch jeden? Die häufig aufgestellte These, dass Transparenz Vertrauen schaffe, ist nahezu grotesk. Der Schrei nach Transparenz ist die extremste Form des Misstrauens. Wer auch immer Transparenz fordert, der hat kein Vertrauen. Dass dieses Vertrauen in jemanden dadurch wiederhergestellt werde, dass ich Herr über ihn bin, dass ich alles von ihm weiß, das ist ein Irrglaube. Vertrauen ist kein sachlicher Wert; Vertrauen ensteht nicht dadurch, dass rein faktisch immer die Wahrheit gesagt wird. Nein, Vertrauen ist viel mehr. Vertrauen schenke ich einer ganzen Persönlichkeit. Jemandem, der mal klare Kante zeigt, auf den Tisch haut und gerade raus ist. So kann aber niemand sein, der durch die totale Kontrolle gehemmt ist. Mal abgesehen davon, dass in der Politik - gerade in der Beziehung zu anderen Staaten - nicht jede Information nach Außen dringen darf: wer eine völlig transparente Politik will, der wird eine Generation paranoider Politiker ernten.
Transparenz - schon der Begriff klingt gläsern. Die Vorstellung einer transparenten Gesellschaft mag schön sein. Doch vermutlich ist sie lediglich Ausdruck des Wunsches nach vertrauenswürdigen Menschen. Politische Hoffnungsträger enttäuschten das "Wählervolk". Ein Karl-Theodor zu Guttenberg glaubte die Deutschen an der Nase rum zu führen, ein mit Vorschusslorbeeren übersäter Christian Wulff glaubt es gar immer noch. Enttäuschtes Vertrauen führt - logischerweise - zu Misstrauen. Und wer misstrauisch ist, der will absolute Kontrolle um eine erneute Enttäuschung zu vermeiden. Dabei gehört auch die Erkenntnis dazu, dass bei einer Enttäuschung immer zwei dazu gehören. Der eine, der täuscht, und der andere, der sich täuschen lässt. Die Schlussfolgerung ist also falsch. Transparenz schafft es auch nicht charakterstarke, charismatische Politiker zu erschaffen. Im Gegenteil: in einer transparenten Politik wäre der Politiker Maschine, reiner Sachwalter der Materie. Sie würde die Entmenschlichung der politischen Klasse bedeuten. Noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist. 
 

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