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Schenkt euch Liebe



Weihnachten haben gefälligst alle am Rad zu drehen. Geschenke müssen gekauft, die irre volle Stadt besucht werden. Konsum ist Bürgerpflicht. Von Henning Rasche

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in Irrsinn, nicht? Tüten neben Tüten, Geschenkpapier stapelt über Glitzerfolie, Bratwurst neben Pommesfett. Der zweite Adventssamstag, Aachen, westliches Nordrhein-Westfalen, kurz vor Belgien und den Niederlanden. Noch vor den Toren der Stadt, auf eigens parat gestellten riesigen Aschefeldern, parken Reisebusse. Kennzeichen aus Großbritannien, Holland, Konstanz oder Dänemark. Der Uhrzeiger neigt sich gerade High-Noon zu, während einer nach dem anderen, bereits leicht angezwitschert, die Gefährte verlässt. Eine ganz besonders kreative Gruppe hat sich als Erkennungsmerkmal rot blinkende Elchgeweihe aufgesetzt. Ja, genau, Elchgeweihe.

Die Innenstadt ist brechend voll. Einzelhändler stellen ganze Leiharbeitsfirmen voller Ladendetektive an, um den Schaden im Verhältnis zum Gewinn einigermaßen erträglich zu gestalten. Es wird alles gekauft, was sich irgendwie in Geschenkpapier einwickeln ließe. Der Weihnachtsmarkt – ein sprachliches Paradoxon eigentlich – ähnelt einer, traurig, Legehennenbatterie. Von links, der freundliche Herr ohne Elchgeweih, aber mit Krakauer, verschmiert gehörig Senf an fremden Mänteln. Seine ersten Geschenke hat er bereits besorgt, die Plastiktüten baumeln brav an seinen Händen. Wie an tausend anderen Händen auch.

Es ist dies ein gewöhnlicher Adventssonntag in einer x-beliebigen Stadt in Deutschland. Kaufen ist die erste Bürgerpflicht. Konsum muss sein; Wirtschaft ankurbeln – die Liebsten erwarten doch schöne Geschenke unterm Baum! Was soll das eigentlich? Die Frage stellt sich zwar jedes Jahr, logisch beantwortet aber wurde sie noch nicht. Die ewigen Kapitalismuskritiker, lautet die abwehrende Haltung. Doch sind wir wirklich so weit, dass der Erfolg des Weihnachtsfestes von Qualität und/oder Quantität der Geschenke abhängt? Ging es nicht ursprünglich mal um, Vorsicht, Liebe? Um das einzig verbliebene retardierende Moment, das uns unser Terminkalender noch bewahrt?

In jeder Zeitschrift, jeder Seite im Netz und im Fernsehen ohnehin, werden uns Ideen für besonders kreative Geschenke vorgeschlagen. Der Fingerzeig: Habt ihr auch schon hinreichend konsumiert? Weihnachten ist das wohl letzte fixe Datum. Der einzige Raum, der bleibt, um sich Zeit zu nehmen ohne gesellschaftlich geächtet zu werden. Zeit, die wir miteinander verbringen sollen, weil wir es sonst schon nicht mehr tun. Da aber alles, was wir tun, einen rationalen Hintergrund haben muss, hat das Schenken den Zweck der gemeinsamen Zeit verdrängt. Dass man noch etwas parliert, ist keinesfalls mehr selbstverständlich. Schon das Fernsehprogramm für den Heiligen Abend deutet an, was sich die Sendeanstalten vom Feste der Geburt Christi versprechen – wirtschaftlichen Erfolg in Form brillanter Quoten. Genügend Leute reden nicht miteinander; nicht an einem Tag können sie auf den Konsum verzichten. Verzichten zum Wohle der Liebe. Die Frage ist bloß, ob das in den letzten Jahrzehnten noch anders war.

Der nordrhein-westfälische Radiosender 1Live spielt nun mehrmals täglich weihnachtlich-besinnliche Lieder. Die Ankündigung ist schnell überhört, dabei wäre sie so lohnenswert. „Schenkt euch Liebe!“ Einen Moment unterstellt, wir beherzigten diesen wahrhaftigen Satz. Würde uns tatsächlich etwas fehlen? Das 38. Paar Socken etwa? Oder die 29. Krawatte? Haben wir wirklich irgendjemanden weniger lieb, weil er für uns weniger Geld ausgegeben hat? Warum verabreden wir uns nicht mal gegenseitig zum Nichtsschenken? Außer Liebe natürlich!

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