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Divide et impera


Der SPD-Mitgliederentscheid erhitzt die Gemüter, nicht nur die der Genossen. Droht sich die Partei an der Frage zu spalten? Oder ist das gar der Plan? Von Henning Rasche 



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llmählich läuft die Frist ab. Die roten Kuverts erreichen das gläserne Willy-Brandt-Haus in Berlin gegen Mitternacht zwischen Freitag und Samstag mit einer hochgesicherten LKW-Ladung. Dann dürfte das Herz so mancher Entscheidungsträger höher schlagen. Was steckt in ihnen? Wie viele Genossen haben für die große Koalition mit der Union, wie viele dagegen gestimmt? Seit Wochen beherrscht kaum ein anderes Thema die Medien mehr als der Mitgliederentscheid der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur GroKo-Frage. Die Mitglieder streiten in den Ortsvereinen, Wähler an den Stammtischen, Prominente in Talkrunden. Die Frage, über die etwa 470.000 SPD-Mitglieder abstimmen, betrifft die ganze Republik. Welche Regierung bekommt das Land? Deswegen streiten sich alle. Die Diskussion wird insgesamt auf drei Ebenen geführt. Auf einer ersten prinzipiellen geht es um das Mitgliedervotum als basisdemokratisches Element in einer politischen Partei. Dazu lässt sich recht wenig sagen, außer dass die meisten das ziemlich gut finden. Auf der zweiten Ebene wird hart inhaltlich gestritten: was bietet der 185-Seiten-starke Koalitionsvertrag den Menschen, was bietet er mir, was den anderen? Und auf der dritten Ebene geht es um das Grundsätzliche: die Zulässigkeit des Mitgliederentscheids aus verfassungsrechtlicher Sicht. 

Eine Privatperson hatte beim Bundesverfassungsgericht den Antrag gestellt, den Mitgliederentscheid vorsorglich zu verbieten, weil er gegen das Grundgesetz verstieße. Mit einer recht knappen und einleuchtenden Begründung wies das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe den Antrag letzte Woche ab. Er sei schon überhaupt nicht zulässig, weil es sich beim SPD-Mitgliedervotum gar nicht um einen staatlichen Akt handele. Ziemlich logisch, eigentlich. Die SPD ist eine politische Partei, also ein quasiprivater Verein, sie nimmt eine Zwitterstellung im Grundgesetz ein. Klar ist dabei zunächst eines: bis auf die Vorgabe der innerstaatlichen Demokratie aus Art. 21 I GG muss sie keine verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen, sie ist nun mal kein Staat. Diese bislang äußerst herrschende Meinung geriet etwas ins Schwanken als die sich besonders investigativ gebende Journalistin Marietta Slomka SPD-Parteichef Sigmar Gabriel im ZDF-Interview fragte, wie er denn auf Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit seines Vorgehens reagiere. „Blödsinn“ nannte der das. Zurecht. Gabriel stellte einen sehr einfachen und zugleich sehr logischen Vergleich auf, den sogar Horst Seehofer verstand. Wenn in der Union etwa 200 Leute darüber entscheiden, ob die Partei in eine Koalition geht, ist das verfassungsrechtlich weniger bedenklich, als wenn in der SPD 470.000 Leute die gleiche Frage beantworten? Natürlich nicht. Die Diskussion hätte beendet werden müssen, stattdessen wird sie von ewigen Querulanten und Miesepetern wie Arnulf Baring fortgesetzt. Diese Leute offenbaren wohl fortwährend ihren Neid auf die neuen Partizipationsmöglichkeiten in der SPD.

Nun also die weitaus umstrittenere Frage: Wie entscheiden die Mitglieder? Es wird viel spekuliert, viel geraunt, viel vorausgesetzt. Die Wahrheit ist, niemand kann wissen, wie die Genossen sich abschließend entscheiden. Der weitaus überwiegende Teil der 470.000 Sozialdemokraten meldet sich nämlich nicht wöchentlich beim Ortsverein und teilt dort seine Meinung mit, sondern bleibt passiv zuhause. Die Jusos entschieden sich gegen den Koalitionsvertrag, sie teilen die Argumente derer, die auch auf den zahlreichen Regionalkonferenzen ihre Ablehnung offenbarten. Sigmar Gabriel sagte auf dem Bundeskongress der Jusos: „Es gibt gute Gründe dafür und es gibt gute Gründe dagegen.“ Das hat er weise formuliert, wirklich richtig ist die Aussage aber nicht. Bei Licht betrachtet sind alle Argumente gegen den Eintritt in eine Koalition mit der Union wenig stichhaltig.

Beispielsweise diese Mär von der linken Mehrheit im Bundestag, die so oft skizziert wird, dass Hannelore Kraft in Leverkusen schon genervt mit den Augen rollte. Rot-rot-Grün, also eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken hätte im Deutschen Bundestag einen Sitz Mehrheit. Rechnerisch richtig, aber parteilogisch völlig unhaltbar. Vor der Wahl haben die Genossen eine Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen, sie jetzt einzugehen würde bedeuten Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen.
Ein Politikwechsel sei mit Angela Merkel als Kanzlerin nicht möglich. Nun, in den vergangenen acht Jahren vollzog die CDU-Vorsitzende so viele Politikwechsel in zwei Legislaturperioden, dass heute niemand mehr weiß, wofür sie steht. Warum sollte es also nun ausgerechnet den eigenen Genossen nicht gelingen, sie zum Kurswechsel zu bewegen?
Die SPD habe die Wahl verloren und müsse nun in die Opposition sich regenerieren, weil der Wähler das so wollte. In Deutschland gibt es aber keine Wahlgewinner und Wahlverlierer, nur Parteien, die stärker und schwächer im Parlament vertreten sind. Deswegen ist die Union nicht der Wahlsieger, weil sie alleine keine Regierung stellen kann. Die SPD ist nicht der Wahlverlierer, immerhin haben sich noch ein Viertel der Wähler für sie entschieden. Was die Regeneration in der Opposition angeht: das hat in den letzten vier Jahren auch nicht geholfen. Die Wähler vertrauen den Sozialdemokraten nicht mehr, dass sie sozialdemokratische Inhalte auch tatsächlich umsetzen. Wie soll die SPD das Vertrauen zurückgewinnen? Indem sie vier Jahre weitere Versprechen in der Opposition macht und Anträge für den Reißwolf produziert oder indem sie in die Regierung eintritt und für sozialdemokratische Positionen streitet und selbige umsetzt? Genau.

Die Unterhändler konnten in den Koalitionsverhandlungen einige Siege erringen. Die 185 Seiten lesen sich größtenteils wie die Verteidigung des Status Quo, zugegeben. Wenn sich aber Fortschrittliches darin befindet, so stammt dies aus der Feder eines Sozialdemokraten. Eine Revolution sieht anders aus, viele Probleme werden bleiben. Einige aber könnten gelöst werden – ist der kleine Schritt nach vorne wirklich schlechter als gar kein Schritt? Ein Koalitionsvertrag ist eine politische Absichtserklärung. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Regierungsfraktionen hinterher vieles gar nicht mehr umsetzen. Es würde helfen, die Bedeutung etwas herunterzuschrauben und nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Und, mal im Ernst, wäre eine Vereinbarung zwischen Union und FDP oder Union und Grünen sozialdemokratischer? Besser? Gerechter? Ist es besser, wenn keine sozialdemokratischen Positionen in der Regierung vertreten werden? Wenn Angela Merkel schon weiter regieren muss – das lässt sich angesichts des Wahlergebnisses nun mal wirklich nicht ändern – dann ist es doch das Beste, wenn sie dabei von Sozialdemokraten kontrolliert wird. Und wo könnten die das besser als vom Nachbarsitz am Kabinettstisch? Natürlich wäre alles andere viel schöner, eine Regierung mit den Grünen beispielsweise. Niemand garantiert zwar, dass dort mehr sozialdemokratische Positionen durchgesetzt hätten werden können, aber das SPD-Herz würde ruhiger schlagen. So ist sie, die Partei.

Was aber passiert nun, wenn ein großer Teil der Mitglieder beim Votum unterlegen ist? Droht der SPD dann die Spaltung? Beispielsweise in Realos und Spontis? In Befürworter und Gegner? Divide et impera, Herrschen ist die Kunst zu spalten. Niemand kann voraussagen, was passiert, wenn der Entscheid negativ ausfällt. Klar ist wohl, dass der Vorstand geschlossen zurückträte. Aber was dann? Die Partei stünde nach 150 Jahren vor dem Nichts, sie implodierte. Keine Parteiführung mehr, keine Regierungsfähigkeit, womöglich das Ende? Eine neue Abspaltung vielleicht? Andersrum weiß aber auch niemand so recht, was passiert, wenn der Entscheid positiv ausfällt. Klar, dann kommt die schwarz-rote Regierung, der Vorstand freut sich und bleibt. Aber was machen die Mitglieder, die damit nicht zurechtkommen, die die Koalition aus tiefer Überzeugung abgelehnt haben? Treten sie aus? Gehen sie zu den Linken? Ist es schade um sie? Wie viele sind es überhaupt? Die Gefahr der Spaltung aber ist real. Die noch größere Aufgabe wird dann sein, die Partei wieder zusammenzuführen. Die Spaltung nämlich, darf nur ein vorübergehender Zustand sein.

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