Ursula von der Leyen, ihres Zeichens Bundesarbeitsministerin, hat schon vor ein paar Wochen ihre "Reform" für Hartz IV veröffentlicht. Reform deshalb schon nicht, weil derzeit alles Reform genannt wird, was den Namen nicht im Entferntesten verdient. Schauen wir zu Herrn Rösler. Er hebt die Beiträge für die Krankenkassen an und erzählt überall stolz von seiner Gesundheitsreform. Das hat schon einen leicht absurden Anklang. Im Grunde ist es aber nicht unüblich in der Politik eine verdörrte Aprikose als frischen Weinbergpfirsich aus Frankreich zu verkaufen. Auch diese gängige Methodik der deutschen Politik ist Mitursache für das Phänomen, das die Statistiker und sonst wie Gelehrten als "Politikverdrossenheit" bezeichnen. Hätte Philipp Rösler gesagt, er hebe die Krankenkassenbeiträge an, hätte er nicht gelogen und wäre unangreifbar gewesen, weil er nichts anderes gemacht hat. Das wäre wahrscheinlich aber zu wenig für einen Minister, der von sich selbst nichts anderes als die Quadratur des Kreises erwartet. Selber Schuld.
Aber zurück zu meiner heiß geliebten Frau von der Leyen. Die stolze siebenfache Mutter, die sich für die Mama der Nation hält und glaubt alle sollten nach ihrem Vorbild leben und ein solches Musterleben führen. Wir wissen nicht, was diese Frau tatsächlich umtreibt, eines aber steht fest - sie ist eine solche gewiefte Schauspielerin, dass man ihr gekünsteltes Mitleid fast ernst nehmen könnte. Ein Beispiel ? Gerne. Bei ihrer Hartz-IV-Reform ging es unter anderem darum, dass jedem Schulkind eine Mahlzeit zu Mittag gesichert werden sollte. Wenn von der Leyen bei Interviews von dieser (unglaublich innovatioven) Idee berichtete, sprach sie mit zugespitzten Mundwinkeln und einem furchtbar ernsthaften Blick von einem "warmen Mittagessen." Die Betonung liegt auf warm. Und bei warm liegt die Betonung auf dem a. Waaaaaaaarm sozusagen, als könne sich die gute Frau glatt vorstellen, wie es für ein achtjähriges Mädchen ist, dass zu Hause nicht richtig ernährt wird, eine warme Mahlzeit essen zu können. Sie sagt das Wort nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal. Wer ihr genau zuhört, stellt fest, dass in jedem Satz mindestens einmal von einem warmen Mittagessen für Schulkinder die Rede ist. Als könne das "warm" in diesem Satz die soziale Kälte der aktuellen Bundesregierung ausgleichen.
Aber ich bin auf etwas gestoßen, in diesem Reförmchen, das mich dann doch noch stutziger gemacht hat. Erst heute steht in der Süddeutschen Zeitung, dass die Jobcenter gegen die Reform von der Bundesarbeits- und Sozialministerin rebellieren wollen. Denn unser Staat hat kurioses vor: Er will die Nachhilfeindustrie unterstützen. Wem das zufällig in den Medien begegnet ist, der wird sich nicht weiter daran kratzen, aber bei einem zweiten Blick fällt es auf, was ist denn das für eine völlig absurde Idee ?
Weil unser Schulsystem zu schlecht ist, unsere Schüler überfordert sind - aus welchen Gründen auch immer, sei einmal dahingestellt - weil unser Staat nicht in der Lage ist jedem Schüler eine vernünftige Ausbildung zu garantieren, bei der er auf Nachhilfe verzichten könnte, muss der Staat jetzt die Nachhilfeindustrie bezahlen ?
Damit meine ich nicht, dass das Niveau in den Schulen dringend gesenkt werden muss, im Gegenteil. In einem der reichsten Länder der Welt muss es doch möglich sein, jedem Kind so viel schulische Förderung zukommen zu lassen, wie es braucht. Stichwort: individuelle Förderung. Nein, der Staat investiert in das Konkurrenzsystem wenn man das so will. Das Ziel des Staates müsste es doch eigentlich sein, die Nachhilfeschulen überflüssig zu machen. Ist es nicht unser Anspruch eines der besten Bildungssysteme weltweit zu haben, in einem Land, das nichts anderes als Bildung zu bieten hat ?
Es ist eine Kapitulationserklärung, nichts weiter. Die Bundesregierung kapituliert vor dem eigenen Schulsystem. Sie traut sich nicht daran, eine Reform an den Schulen durchzusetzen, zieht den Schwanz ein und macht jetzt den größten Fehler, den sie hätte machen können. Sie blamiert sich in der Welt. Und das klingt zwar hart, vielleicht ein bisschen zu hart, aber es ist sehr nah an der Wahrheit.
Statt einer Hartz IV-Erhöhung für Schüler, hat sich das Bundesarbeitsministerium dazu entschlossen, Gutscheine für Nachhilfe über die Jobcenter für Kinder aus bildungsfernen Familien zu verteilen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Bundesregierung darauf Wert legt, dass bildungsfern und Hartz-IV-Empfänger und sozial schwach immer als Synonym verwandt werden darf.
Die Regierung führt sich selbst ad absurdum. Niemand erwartet, dass das Bildungssystem von heute auf morgen so gut wird, dass niemand mehr Nachhilfe braucht. Es wird immer Nachhilfe geben, das liegt alleine schon am unterschiedlichen Leistungsniveau der Schüler. Aber wenn der Staat schon eine flächendeckende Schwäche im Bildungssystem erkennt, man beachte, dass inzwischen in etwa jedes dritte Kind Nachhilfe nimmt, dann sollte mehr getan werden, als nur Bildungsgutscheine für Hartz IV-Empfänger zu verteilen.
Eine gute Regierung hätte sich dadurch auszeichnen können, dass sie die Ursachen bekämpft und nicht die Auswirkungen.
Aber in einer Regierung, in der Guido Westerwelle oder Philipp Rösler als Hoffnungsträger gelten, wäre es wohl vermessen gewesen zu glauben, dass ausgerechnet sie die Probleme der tatsächlich Bedürftigen erkennen. Wie auch ? Wenn man selbst nie an solchen Problemen dran war, immer in der abgesicherten Stratosphäre mit viel Geld und viel Sicherheit, dann kann man sich es einfach nicht vorstellen, was es heißt auf Bildungsgutscheine angewiesen zu sein.
"Wir haben zwar ein beschissenes Schulsystem für euch geschaffen, aber wir sind so großzügig und geben euch dafür Unterstützung bei der Nachhilfe. Wir sind doch toll !" Das schlimme ist, unsere Minister glauben das, was sie sagen wirklich. Sie wissen es nicht besser.
Herzlichen Glückwunsch.
her
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