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Grüne Lebensart

Jutta ist 33, studierte Betriebswirtin, verdient gutes Geld, hat vor zwei Monaten geheiratet und ihr erstes Kind wird übermorgen ein Jahr alt. Jutta ist das, was man heute als "grüne Klientel" bezeichnen kann. Sie ist gebildet, vermögend, verheiratet, hat Kinder. Sie geht zu Manufactum, um dort ein Geschirrhandtuch für 16 Euro zu kaufen, das es bei jedem gewöhnlichen Kaufhaus für 5 Euro und bei Aldi womöglich sogar für 2 Euro gegeben hätte. Für ihr einjähriges Kind kauft sie ein Burberry-Kleidchen, die Lebensmittel für das Mittagessen kauft sie im Bio-Supermarkt um die Ecke. Zum Kaffee trinkt sie Latte Macchiato, zum Abendessen im Vapiano Bionade oder einen dieser kleinen bunten Teefläschchen. Das alles kann man heutzutage als schmuck oder hipp ansehen, jedenfalls sind es Leute wie Jutta, die dafür sorgen, dass die Umfragewerte der Grünen enorm ansteigen, beziehungsweise angestiegen sind. 
Die Grünen sind eine Wohlstandspartei. Denn grüne Forderungen sind teuer. Ökologisch leben, wer will das nicht? Lieber den gesünderen Bio-Apfel oder das Bio-Huhn essen. Lieber das ehrenwert genähte Geschirrhandtuch kaufen, weil die Arbeitsbedingungen besser waren, weil andere mehr davon haben. Lieber den Strom aus dem Windkraftwerk oder von Off-Shore-Anlagen verbrauchen, als aus dem Atomkraftwerk. Lieber den Erhalt wichtiger Bäume und Käfer schützen, als es mit Beton zuzukleistern. Dass ins Gegenteil zu verkehren ist kaum möglich. Lieber Atomstrom, als Windstrom? Lieber Beton, als Bäume? Lieber unsozial produziert, als ehrenwert? Nein, ernsthaft kann keiner das Gegenteil behaupten. Und genau da liegt der Punkt. Irgendwo ist doch jeder für grüne Ziele, das macht es besonders leicht die Leute auch dafür zu gewinnen. Zumindest die, die es sich leisten können. Oder hat schon mal jemand die Grünen beherzt ein Wort für Sozialhilfeempfänger ergreifen sehen? Haben sich die Grünen schon mal öffentlich zur Hartz IV-Debatte oder zu Sarrazin'schen Thesen geäußert? 
Im Gedächtnis geblieben sind diese Ansichten jedenfalls nicht. Wir erinnern uns nur an ökologisch wertvoll, an Anti-Atom und an Anti-Stuttgart 21. Schon heißt es "Dagegen-Partei" (Rheinische Post), was für ein fataler Begriff. Er verkennt in jeglicher Form, dass Grüne auch für etwas stehen. Für ökologisch nachhaltige Politik. 
Der Spiegel hat die Grünen kürzlich in den Rang einer Volkspartei erhoben. Auch das ist fatal, denn die Grünen decken gerade mal die Probleme ab, die uns im Moment umgeben. Zu Terrorbedrohung sagen sie nichts. Fällt ihnen nichts ein oder fehlt ihnen die Kompetenz? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Atomdebatte gelegt hat, bis eine Entscheidung für oder gegen Stuttgart 21 gefällt worden ist, ja, bis schlussendlich die postmodernen grünen Themen von der Bildfläche verschwunden sind. Spätestens dann, wenn die Grünen in Baden-Württemberg den Regierungsauftrag bekommen, werden die Leute merken, dass Baden-Württemberg nicht nur aus Stuttgart und Stuttgart nicht nur aus 21 besteht. 
Populistisch und opportun ist diese veränderte grüne Partei alle mal. So richtig realistisch sind die ja nicht, mit ihrem Juchten-Käfer. 
Aber natürlich gibt es einen Grund dafür, dass sich Angela Merkels Angriffe in Haushaltsdebatte Dienstag und Mittwoch hauptsächlich auf die Grünen beziehen. Denn sie will in erster Linie der SPD damit schaden. Je weniger man von den Sozialdemokraten hört, desto weniger gefährden sie den Status der CDU, sehr wohl weiß Merkel, dass die Grünen ihr nachhaltig nicht problematisch werden können. Grüne Themen sind modern, sie sind im Trend. Dass eine konservative Kraft diese bekämpfen will, ist offensichtlich. Auch wenn Frau Merkel möglicherweise gerne im Vapiano isst oder Latte Macchiato trinkt. 
Aber der grüne Hype ist vielleicht auch noch von einer anderen Seite her zu erklären. Nämlich von der "Politikverdrossenheit". Wer auf bittere Politik keine Lust hat, sondern sich mehr den Schönwetter-Thesen der Grünen annimmt, fühlt sich unbeschwerter, ja besser. Debatten um Hartz IV mögen erdrückend sein, weil sie scheinbar nur ungerecht sind - egal für wen. Aber gegen Atomkraft zu sein ist erstaunlich einfach. 
Natürlich spricht das nicht gegen die demokratische Legitimation von Bündnis '90. Die angesprochenen Themen sind wichtig, das grüne Grundsatzprogramm sogar bedeutend. Aber Stuttgart 21 ist nun mal nur ein Trend, kein Grundsatz. 
Jutta fühlt sich gut mit grün, sie kann es sich ja auch leisten. 


her

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