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Und jetzt, Herr de Maizière?

Der deutsche Reichstag, Sitz des deutschen Bundestages, soll laut Spiegel-Informationen ins Visier der islamistischen Terroristen geraten sein. Man wolle bewaffnet das Plenum stürzen, Geiseln nehmen, ein Blutbad anrichten und möglichst viele Menschen töten. 
Eigentlich bin ich jemand, dem wenig Angst macht was weltpolitische Entwicklungen angeht. Mein Vertrauen in die deutsche Demokratie mit der wohl besten Verfassung der Welt, dem Grundgesetz, ist unerschütterlich. Die Verfasser des Grundgesetzes haben geglaubt die größte Bedrohung, die unserer Demokratie gegenüber steht, sei der totalitäre Staat, die Diktatur, faschistisches Gedankengut. 1949 zu Zeiten von Herrenchiemsee, hatte man nicht im Entferntesten daran geglaubt, dass irgendwann Islamisten die demokratische, "westliche" Welt mit Terror in Angst und Schrecken versetzen könnten. 2001 veränderte sich die Welt in einer extremen Kehrtwende. Der Anschlag auf das World Trade Center in New York löste eine weltweite Panik vor weiteren terroristischen Attacken aus. Das Gefühl, man sei nicht gegen solche Leute gewappnet, man könne sich nicht wehren, ja man sei sogar hilflos ausgeliefert machte sich breit. Weltweit wurden Sicherheitsgesetze immer weiter angekurbelt, immer schärfer geschnürt, aus Angst vor neuen Anschlägen. Die Katastrophe von New York sollte uns und unser Zusammenleben für immer verändern. Nach den Anschlägen 2001 traute man sich kaum noch in ein Flugzeug nach New York zu steigen, panisch hielt man Ausschau nach Leuten, die islamistisch und gefährlich aussehen könnten. Seit 2001 haben wir immer wieder inne gehalten. Die Anschläge auf ein Hotel in Mumbai, auf die U-Bahnen in Madrid und London, die 2006 in den deutschen Regionalzügen gefundenen Kofferbomben, die durch ein Wunder nicht explodierten, die nicht explodierte Bombe in einem Auto am Times Square, die Liste ließe sich wohl noch weiter ergänzen. Die Angst vor Terroranschlägen, sie wurde zu einem natürlichen Instinkt in uns, nicht omnipräsent, aber im Unterbewusstsein fest verankert. Wir wussten, dass etwas passieren kann, jederzeit. Aber damit gerechnet haben wir nicht. 
Vorangegangene Woche, trat der Innenminister der Bundesrepublik vor die Presse, Thomas de Maizière. Er warnte vor Terroranschlägen in Deutschland. Die Gefahr, dass in diesem Monat noch etwas passiere, sei groß. Er rief zur Vorsicht auf, warnte aber gleichzeitig vor Hysterie. 
Aber bitte was stellt de Maizière sich jetzt vor, was wir machen? Erwartet er von uns, dass wir kleine Informanten des BKA spielen und dann immer da anrufen, wenn wir einen Islamisten sehen? Erwartet er von uns, dass wir aufs Fliegen verzichten? Dass wir uns aus öffentlichen Verkehrsmitteln fernhalten? Öffentliche Plätze meiden? Damit wir nicht Ziel werden? Bei aller Liebe, ich verstehe nicht, was genau eine Terrorwarnung des Bundesinnenministers bezweckt. Wir dürften nicht in Panik verfallen, wir dürften nicht durchdrehen, müssten ruhig bleiben, sagt er. Aber wie soll ich denn ruhig bleiben, wenn ich weiß, dass ein Terroranschlag unmittelbar bevorstehen kann? Soll ich mich zurücklehnen und sagen "Hach ja, schön isset, wenn es schön ist"? Natürlich schweifen meine Augen jetzt umher, wenn ich im Zug sitze. Auf der Suche nach verwahrlosten schwarzen, kleinen Rollkoffern, die jeden Moment explodieren könnten. Natürlich ist das schwachsinnig. Natürlich ist es unlogisch und unrealistisch, dass sich die Terroristen wieder dasselbe ausdenken würden. Aber Herr de Maizière hat an einen ureigenen Instinkt menschlicher Gefühle appeliert, an die Angst. Ich gebe offen zu, ich habe Angst. Nicht nur, weil ich selbst Opfer werden könnte. Sondern, weil ich das Gefühl so beklemmend finde. Kann ich den deutschen Sicherheitsbehörden trauen? Sind sie gewappnet? Helfen 1 000 Polizisten mehr? 
Ein Anschlag auf den deutschen Reichstag, das wäre wohl das sensibelste Ziel der Bundesrepublik, das man sich denken könnte, neben dem Kölner Dom vielleicht. Aber der Reichstag steht für etwas, er ist Symbol und "Herzstück" unserer Demokratie. Jene Demokratie, die so unerschütterlich erscheint. Fast jeder, der einmal in Berlin war, war auch im Reichstag. Das gehört dazu. 

Einige Stimmen werden laut, die behaupten die Bedrohung sei lediglich inszeniert. Ausgeklügelt bis ins letzte Detail. Eine Warnung des Bundesinnenministeriums, ein Aufschrei in der Bevölkerung. Angst macht sich breit. Eine solche gereizte Lage lasse sich leicht ausnutzen. Sicherheitsgesetze könnten abermals verschärft werden, Gesetze wie das der Vorratsdatenspeicherung ließen sich besser durchsetzen und letztlich könnte die schwache schwarz-gelbe Bundesregierung sich feiern lassen einen (vermeintlichen) Anschlag vereitelt zu haben. 
Das sind Anschuldigungen, die indizieren, die Bundesregierung verstöße gegen jeden einzelnen Artikel unseres Grundgesetzes. Anschuldigungen, die höher gar nicht mehr sein könnten. Die unserer Regierung vorwerfen, sie schüre bewusst Angst in der Bevölkerung. Etwas skurilleres kann ich mir nicht mehr vorstellen. Wie soll das gehen? An einer solchen Absprache müssten sich sämtliche Mitglieder der Regierung beteiligen, sie würde eine absolut geschlossene Atmosphäre in der Regierung voraussetzen, eine Vertrauensbasis. Aber objektiv betrachtet ist das unmöglich. Man kann politisch unterschiedlicher Auffassung sein, aber dieser Regierung einen solchen Komplott zuzutrauen, das wäre gnadenlose Überschätzung. Völlig absurd. 
Aber was nehmen wir jetzt mit? Wie verhalten wir uns? Dürfen wir Angst haben? Müssen wir Angst haben? 
Den Zustand von Angst innerhalb der Bevölkerung eines Landes zu erreichen, das ist das Ziel des internationalen Terrorismus. Gespickt mit kleineren Forderungen, wie damals 2009 im Bundestagswahlkampf. Eine lächerliche Veranstaltung, die Wähler sollten alle Anti-Afghanistan-Parteien wählen, sonst würde etwas passieren. Man kann die Terroristen auch für Dilettanten halten, die zu blöd sind, Anschläge zu organisieren, in ihrer derzeitigen Verfassung. Manchmal hört man ja sogar, Al-Qaida sei pleite. 
Aber nichtsdestotrotz (was für ein schönes Wort) schwebt diese latente Gefahr jetzt über uns. Wir dürfen Angst haben, aber wir dürfen uns von der Angst nicht vorschreiben lassen, was wir zu tun und zu lassen haben. Das klingt sehr einfach, die Durchsetzung ist nicht leicht. Aber auf dem Weg in die Normalität, ein Schritt in die richtige Richtung. 
Herr de Maizière kann uns zwar Angst machen. Er sagt uns aber nicht, was wir mit der Angst machen sollen. Und schon gar nicht, wie sie wieder geht. 
Und jetzt, Herr de Maizière?   


her

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