Manch einer mag sich vielleicht erinnern. "Big Brother is watching you", ein Satz, der bei vielen im Kopf geblieben ist. Big Brother ist der totalitäre Überwachungsstaat, der seine Bürger ausspioniert, als harmloseste Form. George Orwell hatte in seinem Roman "1984" eine solche Anti-Utopie, ein Horrorszenario gemalt. Für uns Bürger einer freiheitlich demokratischen Grundordnung ist es wohl der größte Albtraum (oder Alptraum - beides geht!), den wir uns vorstellen können. Die Behörden des Staates wären der Feind eines jeden Bürgers, nicht nur sprichwörtlich, sondern ernstlich. Nun, wir leben nicht in der DDR und auch sonst in keinem totalitären Überwachungsstaat. Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland, einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat. Warum also dieser eher kuriose Beginn mit einem Roman?
Neben dem Überwachungsstaat gibt es auch andere bürgerliche Sorgen, die den meisten wahrscheinlich wesentlich präsenter sind. So gehört der islamistische Terror seit dem 11. September 2001 zu den wenigen Dingen, die wir überhaupt fürchten, also wir als Staat und nicht als individuelle Einzelperson. Seither, so glauben Experten, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch in Deutschland Attentate verübt werden könnten. Spätestens als 2006 Kofferbomben in Regionalzügen gefunden wurden, ist uns Bürgern doch bewusst geworden, dass auch wir nicht unantastbaren Schutz vor diesem feigen, zu verachtenden Terror genießen. Als aber Thomas de Maizière (CDU) - seines Zeichens Innenminister - vor ein paar Wochen vor die Presse trat und die Bürger vor einem möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag bis Ende November warnte, wurde sie wieder konkreter, die Angst. Die Bundesregierung handelte: Polizisten mit Maschinenpistolen wurden an allen öffentlichen Orten positioniert, an Bahnhöfen und Flughäfen wurden erheblich mehr Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt, die Kuppel des Berliner Reichstag wurde gesperrt, ständig wurden Züge, Flugzeuge, Kaufhäuser evakuiert, weil jemand vor dem Gang zur Toilette seinen Koffer hat stehen lassen oder sich einen bösen Spaß erlaubt hat und, und, und... Als Konsequenz wurden wieder mal schärfere Sicherheitsgesetze vorgeschlagen oder man könne doch schon mal vorsorgliche alle "Islamisten" einsperren oder doch zumindest abhören, als neueste Idee schwebt ein deutsches FBI in den Köpfen des Berliner Innenministeriums. Bundeskriminalamt und Bundespolizei (ehemals Bundesgrenzschutz) sollen zu einer Art "Super-Polizei" zusammengeführt werden und ähnliche Aufgaben wahrnehmen, wie das US-amerikanische FBI.
Heute ist Dienstag, der 14. Dezember. Der November ist also schon vorbei. Es ist nichts passiert. Zum Glück, selbstverständlich. Niemand nimmt eher ein Attentat in Kauf, als schärfere Kontrollen. Lieber einmal mehr einen Zug evakuieren, als einmal zu wenig. Lieber einmal zu viel 110 rufen, als einmal zu wenig. Lieber einen Polizisten mehr im Einsatz, als einen zu wenig. Wenn doch eine konkrete Gefahr besteht, dann sicherlich zu Recht. Aber wann und wie wurde aus der latenten Gefahr eine konkrete Gefahr? Wie ist der Modus zu unterscheiden? Und vor allem, wann hört er wieder auf?
Ist es nicht eine der Dystopien Orwells, dass der Staat aus Hysterie und Sorge immer mehr Macht an sich reißt? Mal aus Angst vor Außen, mal aus Angst vor Machtverlust? Wie weit geht die Beeinträchtigung der Bürger durch den Staat? Wie viel müssen wir ertragen, wie viel müssen wir aushalten? Was müssen wir nicht mehr dulden? Wer bewahrt uns letzten Endes davor, dass wir bald wieder Angst vor uns selbst haben?
Der große Untergang steht uns sicher nicht bevor. Weder wird es jemand schaffen aus unserer von mir so gern zitierten freiheitlich demokratischen Grundordnung wieder einen totalitären Staat zu schaffen, noch wird es gelingen den absoluten Überwachungsstaat einzuführen. Aber es ist berechtigt zu fragen, wann die Gefahr vorbei ist. Denn ich möchte nicht ewig von Maschinenpistolen am Bahnhof bewacht werden müssen, die Glaskuppel unseres Reichstages darf nicht ewig für Einzelne unangemeldete Besucher gesperrt bleiben. Es darf nicht ewig der Ausnahmestatus herrschen, indem Politiker uns leichter schärfere Gesetze verkaufen können. Wer warnt, muss auch entwarnen. Wer für Besorgnis sorgt, muss auch für Beruhigung sorgen. Und wer einen Ausnahmezustand herbeiführt, muss auch dafür sorgen, dass dieser wieder aufgehoben wird. Nicht in zwei Jahren, nicht wenn alle Islamisten dieser Welt in Guantanamo gefoltert werden, nicht wenn Thomas de Maizière Chef der Super-Super-Super-Polizei ist. Ein freiheitlicher Staat bietet immer Platz für Risiken. Einen absoluten Schutz, eine absolute Sicherheit kann es nicht geben, gewisse Risiken muss der Staat aushalten. Der Innenminister ist am Zug, lange lasse ich mich nicht mehr überwachen.
Auch wenn Orwells Dystopie zum Glück nur eine Dystopie ist und uns erspart bleibt.
her
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