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Mein klingelnder Freund

Ohnehin, der Begriff der Freundschaft ist im Jahre 2011 ein anderer. Weit aus dem Fenster lehnend würde ich behaupten, wer 1987 einen Freund hatte, hatte auch einen. Wer 2011 von einem Freund redet, meint häufig einen flüchtigen Bekannten. Der Begriff der Freundschaft ist schwach geworden, er nutzt sich ab. Der Prozess dauert sogar noch an. 354 Freunde auf Facebook, wenn das kein Anreiz ist. Es ist wohl kein gut gehütetes Geheimnis, dass den meisten ihre 354 Freunde gar nicht mehr persönlich bekannt sind.  Aber Hauptsache Prädikat: "Freundschaft".

Die Anzahl der wahren Freundschaften nimmt dadurch ab, so meine spekulative These. Reale Freunde werden immer weiter ersetzt. Ihre Surrogate (mir fällt gerade kein einfacheres Wort dazu ein): Facebook, der PC an sich und das Handy. Nicht die verknüpften Freunde bei Facebook sind die Freunde, sondern Facebook selber. Fühlt man sich gerade allein, geht man zu Facebook und schon kann man dem Internet alles erzählen. Das Internet, Facebook als Freund mit offenen Ohren, als Freund der zuhört. Aber der Prozess hat schon vorher begonnen. Auch ohne Facebook. Beobachten wir uns selbst: Was tun wir, wenn wir an einer Bushaltestelle, an einem Bahnhof stehen und auf Bus oder Zug warten? Was tun wir, wenn wir dann im Bus oder Zug sitzen und fahren? - Am Handy rumfummeln. 


Die gesellschaftskritische These, die dabei im Mittelpunkt steht: Der Mensch kann nicht mehr alleine sein. 

Das erste, was man richtigerweise differenzieren muss sind die Begriffe "allein" und "einsam". Allein zu sein bedeutet etwas völlig anderes, als tatsächlich einsam zu sein. Wenn ich vier Stunden mit der Bahn ohne Begleitung unterwegs bin, dann bin ich alleine. Wenn ich mich mal abends ohne Gesellschaft einfach aufs Sofa hänge und nur die Glotze anmache, um abzuschalten, dann bin ich alleine. Allerdings, wenn ich jeden Abend ohne Gesellschaft vor dem Sofa sitzen muss, weil ich keine andere Wahl habe, dann bin ich einsam. Einsamkeit ist ein Zustand, der eingetreten ist, wenn man kaum mehr weiß an wen man mich wenden kann und soll. Vor Einsamkeit fürchte ich mich, vor dem allein sein nicht. Wer vor der Bushaltestelle steht, ohne Begleitung, der hält es in diesem Zustand nicht lange aus. Nur ein paar Sekunden dauert es und schwupp ist das Handy in der Hand. Die Facebook-App angeschmissen und munter und lustig wird drauf los gepostet und gelesen und was weiß ich nicht alles. Wer solche Personen mal genau beobachtet, dem wird auffallen, dass diese Personen selbst nicht so genau wissen was sie da am Handy-Bildschirm machen. Dann wird da wild und lustig rumgeschoben und geklickt, zumeist ohne Sinn und Verstand. Und das alles nur, weil die Person das Gefühl hat nicht allein sein zu dürfen. Vielleicht geht es ja soweit, dass derjenige sich beobachtet fühlt. 'Was ist, wenn mich hier einer alleine sieht der mich kennt? Denkt der, ich habe keine Freunde?' - Mir fällt gelegentlich auf, dass manch einer glaubt, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass er alleine ist oder war. Dem ist nicht so. 
Aber das Handy wird dann kurzerhand zur Begleitung. Zum Kommunikationspartner ernannt. Nicht zwangsläufig die Personen dahinter, sondern das Handy selbst. So als ob es selbstständig reden und antworten könnte. Das Handy in der Hand, wildes rumtippen, wer denkt da schon dran, dass man alleine ist? Man ist ja gerechtfertigt, man kommuniziert ja gerade mit jemandem, da ist man auch nicht allein. Kein Grund zur Panik. 

Wer das alles für völlig überflüssiges Geschwätz hält, dem sei gesagt: das mag sein. Dennoch sind dies Tendenzen, die ich aufnehme, beobachte, die mich irritieren. Man kann natürlich sagen: 'Was ist so schlimm daran, nicht allein sein zu müssen? Wenn ich doch via Handy kommunizieren kann, dann sollte ich es doch auch tun?'. Aber der Punkt ist ein anderer. Denn erst ersetzt das Handy die Abwesenden und anschließend auch die Anwesenden. Auch das lässt sich abschließend nur in einem Prozess erklären. Wer früher das Handy als Kommunikationsmittel nutzte wenn er alleine war, nutzt es heute oder bald auch in der Gesellschaft. Das Handy als Suchtmittel. Die Sucht zur verkrampften Kommunikation der Abwesenden. Heutzutage ist es so, dass vielfach nicht mehr mit den anwesenden möglichen realen Gesprächspartnern gesprochen wird, sondern lieber die sichere Kommunikation am Handy vorgezogen wird. Selbst unter Anwesenden sprechen wir lieber mit den Abwesenden. Was für ein Dilemma. 

Es ist kein Plädoyer gegen das Handy, aber ein Plädoyer dafür nicht die Augen permanent auf das Mobiltelefon zu richten, sondern zu erst die reale Kommunikation zu suchen. Allein zu sein, ist nichts schlimmes. Nur dann werden wir mit uns selbst, mit unserem Innersten konfrontiert und müssen unsere Gedanken auch mal aushalten. Dem sollte man nicht ständig entfliehen, indem andere Kommunikationsmittel gesucht werden, die nur künstlich von sich selbst ablenken sollen. Mehr Mut für das allein sein, bedeutet auch mehr Mut für sich selbst. Nur wer beginnt? 



her   

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