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Zwangsfreiwillige oder Freiwilligenzwang?

Die Wehrpflicht abzuschaffen war richtig. Das Hau-Ruck-Verfahren der Bundesregierung, das zur sofortigen Aussetzung führt, wird sich früher oder später als Katastrophe erweisen.

Dem großen Karl-Theodor zu Guttenberg (Ex-Dr.) haben wir zu verdanken, dass die Wehrpflicht in der Bundesrepublik abgeschafft wurde. Eine Grundforderung linker Menschen wurde damit eingelöst, auch Liberale werden sich über diesen überfälligen Schritt freuen. Ein Land, das sich selbst verbietet Kriege zu führen, braucht auch seinen Einwohnern theoretisch gesehen nicht aufzwingen sich für derlei Kriege vorzubereiten. Von "humanitären Diensten", die die Bundeswehr doch häufig leistet mal abgesehen. Auch nach Lybien soll die Bundeswehr bekanntlich fliegen - für "humanitäre Dienste". Wieso sie dabei Granaten und Maschinengewehre brauchen, erschließt sich mir nicht ohne weiteres. Das Land, vielmehr die jungen Erwachsenen, wurden von einer Last befreit, heißt es oft. Das Jahr nach der Schule brauchen junge Männer in Zukunft nicht mehr in der Kaserne verbringen, nicht mehr in Altenheimen. Denn die Debatte um die Wehrpflicht ist deutlich komplexer zu betrachten, als nur als Befreiung von einer Last. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht schalten sich einige Probleme automatisch hinten an. Und weil das so ist, war es falsch die Abschaffung mit einer minimalen Frist durchzusetzen. Es wäre wichtig gewesen eine Zeit des Übergangs zu schaffen. Diese Chance wurde vertan. 

Stichwort: Zivildienst. 
Wen das Kreiswehrersatzamt (tolle Abkürzung: KWEA) einzog und für tauglich befund, stellte die Behörde indirekt vor die Wahl. Die Wahl hatte man zwar nur, wenn man sich auf seine Gewissensfreiheit berief und wortgewaltig den "Dienst an der Waffe" verweigerte. Aber rein praktisch gesehen gab es diese Wahl. Zumal der Wehrdienst bei der Bundeswehr auch die Ausnahme, der Ersatzdienst - also Zivildienst - der Regelfall. Da man Zivildienst aber nur anstatt des Wehrdienstes machen konnte, fällt dieser mit der Abschaffung der Wehrpflicht ebenso aus. Karitative Einrichtungen, die sich über Jahrzehnte hinweg mit Zivis ausrüsteten, die für die Einrichtungen unersetzlich wichtige Arbeiten ausübten, stehen somit vor einem Problem. Hauptamtliche Stellen müssten geschaffen und besetzt werden, die Zivis Stück für Stück ersetzt. Doch das kostet Zeit. Und Geld. Und beides fehlt den karitativen Einrichtungen. 
Der neue Freiwilligendienst des Bundesamtes für Zivildienst soll in erster Linie die Stellen der Beamten im Bundesamt für Zivildienst retten. Was konkret es bringen soll darauf zu hoffen, dass junge Männer sich dafür freiwillig melden, wozu sie vorher gezwungen wurden, weiß die Behörde selbst nicht recht. Man appelliert wohl an die Moral der jungen Leute. Doch heutzutage, wo man immer jünger und immer bessere und höhere Abschlüsse haben muss, um in Bewerbungsgesprächen noch Chancen zu haben, muss man es sich erst einmal leisten können ein Jahr Zivildienst freiwillig zu machen. 


Stichwort: Universitäten.
Den deutschen Hochschulen stehen mit den Doppeljahrgängen der G8, beziehungsweise G9-Gymnasiasten und Abiturienten, eine enorm hohe Belastung bevor. In manchen Bundesländern, wie etwa Berlin, ist es schon so weit. Dort kommt in einem Jahr die doppelte Menge an Studienbewerbern an die Universitäten. Die sind darauf natürlich kaum vorbereitet. Mit armseligen Rettungsaktionen versuchen die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sich auf den Ansturm, der in zwei Jahren bevorsteht, vorzubereiten. Das heißt, es fallen Umbauten und Neubauten an, Reparaturen und Umstrukturierungen. Es herrscht das Chaos. Wie so oft. Da fehlt es geradezu, dass man einen weiteren Doppeljahrgang installiert. Denn diejenigen, die als letzte den Zivildienst (oder Wehrdienst) abgeleistet haben, dürften in diesem Oktober ihr Hochschulstudium aufnehmen, genauso wie diejenigen, die jetzt Abitur machen, aber keinen Zivildienst mehr leisten müssen. Eine weitere Doppelbelastung für ohnehin schon überlastete Universitäten, die in Zukunft noch weiter belastet werden. Eine Frage der Zeit, bis hier der Exitus auftritt. 


Stichwort: Bundeswehr.
Die Bundeswehr findet keine Freiwiligen mehr. Auf den KWEA ist Ruhe eingekehrt. Nur selten verirrt sich nochmal jemand an einen dieser abgelegenen Orte. Es ist ja auch ein erheblicher Unterschied, ob das Amt den Schritt auf mich zu geht oder ob ich den Schritt auf das Amt zugehen muss. Die Werbekampagnen der Bundeswehr: "Die Bundeswehrreform: Deine Chance" oder "Hier findest Du mit jedem Schulabschluss einen Job" wirken erbärmlich. Möglicherweise hätte man der Bundeswehr mehr Zeit eingestehen müssen, sich auf dieses Szenario vorzubereiten. Dieses Hau-Ruck-Verfahren der Bundesregierung wird sich früher oder später noch als Katastrophe erweisen. In welchem Ausmaß auch immer. 

Die Alternativen.
Möglicherweise wäre es klug gewesen, allen Beteiligten Zeit bei der Abschaffung des Wehrdienstes zu geben. Die karitativen Einrichtungen hätten sich um Ersatz kümmern können, die Universitäten sich erweitern. In einem bis zwei Jahren wär man mit der Aussetzung der Wehrpflicht prima zurecht gekommen. Der einzige Nachteil für die Bundespolitiker wäre gewesen: der Sympathie-Bonus wäre auch erst ein bis zwei Jahre später eingetreten. 
Allerdings hätte es doch auch ein allgemeiner Dienst für jedermann getan. Frauen und Männer hätte es gleichermaßen treffen können. Ein Jahr verpflichtend nach der Schule, das man entweder der Bundeswehr oder sozialen Einrichtungen opfert. Jeder Bürger dieser Republik sollte das Gefühl haben zu diesem Land etwas beigetragen zuhaben. Und zwar über dem normalen Maße hinausgehend. Was wäre so schlimm daran gewesen junge Frauen und Männer weiter als wichtige Unterstützer bei karitativen Einrichtungen einzusetzen? Warum konnte man sich nicht dazu durchringen, mal etwas auf den ersten Blick Unbliebtes durchzusetzen? Die entstandenen Probleme wäre vermieden worden. Aber das reicht offenbar nicht. 
 


her

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