VON HENNING RASCHE
Sommerinterview.
Das klingt nach einer luftig-leichten Plauderei von vermeintlich kritischen
Journalisten mit wichtigen Politikern bei einem kühlen Gläschen Prosecco zu den
eher seichteren Themen der Welt auf einer Terrasse zum Sonnenuntergang. Nun hat
das ZDF gleich zwei der obersten Verfassungsorgane an ihre Tische in
irgendwelchen kalt wirkenden Gebäuden zu eben jenen Interviews gewonnen. Am vorvergangenen
Sonntag gab sich das Staatsoberhaupt, Bundespräsident Joachim Gauck die Ehre,
an diesem Sonntag dann, die Nummer drei im Staat, Bundeskanzlerin Angela
Merkel. Der eine, Gauck, hatte die eine, Merkel, dazu aufgefordert, Europa doch
bitteschön ein bisschen mehr zu erklären. Dass sie dieser Bitte nicht nachkam,
darf jetzt schon offenbart werden. Dass sie aber auch sonst dem Volk nichts zu
erzählen hat, ist bitter. Ob sie den historischen Moment ihrer Amtszeit
begreift?
„Dem
deutschen Bürger geht es jetzt (also wohl 2012, d. A.) besser als 2009“, stellt
die Frau Bundeskanzlerin in dem wahrlich bemerkenswert schlecht geführten
Gespräch mit Frau Bettina Wann-Schausten-Vorbei, die sich bei der Wulff-Affäre
ihren Ruf verdarb, fest. Diese Feststellung von Angela Merkel ist gleichwohl skurril.
Denn die Frage nach der Befindlichkeit „des deutschen Bürgers“ eignet sich
nicht, um die Errungenschaften ihrer zweiten Amtszeit zu bezeichnen. Ungeachtet
dieser Tatsache ist die Feststellung schlicht falsch, wie ihr sicherlich eine
überwiegende Mehrzahl eben jener deutschen Bürger gerne versichern würden. Doch
diesem dämlichen Satz lässt sich auch etwas bedeutendes entnehmen. Nämlich, dass Merkel das
ZDF-Team ins Kanzleramt geholt hat, um Belanglosigkeiten auszutauschen. Gewiss,
sie sagt hie was zum Euro, da zur Schuldenbremse, zum Betreuungsgeld und zu
Horst Seehofer. Neuigkeiten, abgesehen von solch seltsamen Behauptungen, waren
aber nicht einmal für den aufmerksamen Beobachter zu entdecken.
Schade,
möchte man sagen, denn die Aufforderung von Gauck, mehr zu erklären, kam zu
einem goldrichtigen Zeitpunkt. Leider nahmen zu viele diese Bitte nicht ernst –
er belustigte sogar manch Politiker und Journalisten. Dabei ist es eine
einfache logische Kette. Europa muss stärker zusammenwachsen, besser politischer
zusammenarbeiten, sich vermehrt absprechen. Das lässt sich auf diesen
Nachtwanderungen in Brüssel – warum finden die eigentlich immer zu solchen
Unzeiten statt? – kaum mehr bewerkstelligen. Europa darf also keine reine
Binnenmarktveranstaltung bleiben, wie Angela Merkel auch in dem Sommerinterview
sich es erneut wünschte, sondern muss zu einer Gemeinschaft wachsen. Und ja,
wahrscheinlich steht am Ende dieses Prozesses der Europäische Bundesstaat. Die
USE. Die United States of Europe. Weil so etwas aber nicht ohne Bürger geht,
ohne das Volk – zur Erinnerung: die Europäische Union hat sich den Regeln
demokratischer Rechtsstaatlichkeit unterworfen, also mehr oder minder quasi
einer Volksherrschaft – es also einer demokratischen Legitimation des Ganzen
bedarf, muss Europa besser erklärt werden.
Wenn
Menschen glauben, dass Europa nur noch über Geld redet, dass es um Fiskalpakte
und Fazilitäten geht, aber nicht um sie, die Menschen, – dieser Eindruck wird ihnen gerade allerdings kräftigst
vermittelt – dann werden die Architekten der USE keine demokratische
Legitimation bekommen, ein Volksentscheid würde abgelehnt. Aus dieser
Perspektive heraus müssten Politiker doch eigentlich, wann immer es ihnen möglich ist,
Werbung machen. Werbung für Europa, für das europäische Projekt, für die
Vielfalt der Kulturen und Geschichten, für die großartige Demokratie. Angela
Merkel tut das nicht. Sie lässt Leidenschaft für Europa vermissen. Als sie so
etwas wie Werbung für Europa im erwähnten Sommerinterview versucht, da faselt
sie etwas von Wirtschaftlichkeit, dass wir gut da stünden in der „globalen Welt“,
dass wir den größten Binnenmarkt der Welt hätten und wir uns mit Indien und
Brasilien messen könnten. Toll, aber all das hilft wenig, wenn „der deutsche
Bürger“ nicht profitiert. Wenn ihm nicht gesagt wird, welche Chancen Europa
bietet.
Angela Merkels Regentschaft steht am Scheideweg. Sie
wird als deutsche Bundeskanzlerin in die Geschichte eingehen – so viel steht
fest. Und sie wird auch mehr als manch anderer ihrer Vorgänger ihre Andenken
hinterlassen. Die Bundeskanzlerin macht nicht den Eindruck, dass sie diesen
historischen Moment begreift und für sich nutzen will. Eine von vielen
Gelegenheiten hat sie in diesem Sommerinterview wieder verstreichen lassen.
Ganz ohne Prosecco, ohne Terrassen-Feeling. Aber mit sommerlich luftig-leichten
Fragen, ganz nach Merkels Gusto.
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