VON HENNING RASCHE
Auch während
der Sommerpause - die für gewöhnlich von Querulanten genutzt wird, um sich
ungewohnter Aufmerksamkeit zu erfreuen – fand sich niemand, der die Lösung
aller europäischer Krisen, nennt man sie nun Staatsschulden-, Schulden- oder
Eurokrise, auf dem Silbertablett heranreichte. Nein, Mario Draghi sorgte
vorrübergehend für Wirbel, zwei bayerische CSU-Politiker übten sich in hohlem
Populismus und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bemüht sich stetig um
progressive Ansätze. Entscheidend ist, dass aber niemand in Sicht ist, der den
Mut hat, die Verantwortung übernimmt und Europa einen Weg aufweist. Den Weg aus
der Krise, wo auch immer dieser hinführte. Er sehe niemanden, der den „Überblick“
hat, sagte kürzlich Altkanzler Helmut Schmidt in einem TV-Interview bei Sandra
Maischberger. Das könne nur jemand sein, der beteiligt ist; also ein Akteur des
politischen Spielfeldes. Staats- und Regierungschefs, die eine wichtige Rolle
spielen sollten, gibt es zuhauf. 27 an der Zahl. Aber es muss jemanden – oder eine
Gruppe aus zwei, dreien - geben, der ihnen Vorschläge unterbreitet, Angebote
liefert. Von einer Bundeskanzlerin Merkel würde man so etwas verlangen können.
Von einem französischen Staatspräsidenten Hollande ebenso.
Helmut
Schmidt war sich in selbiger Sendung sicher: Deutschland könne nicht führen,
Deutschland dürfe nicht führen. Er begründete dies, wie er es oft tut, mit den
Gräueltaten des zweiten Weltkrieges, mit den Millionen von Menschen, die „Adolf
Nazi“ ermordete. Die Nachbarstaaten, so der 93-Jährige, trügen diese Erinnerung
noch immer in ihrem Unterbewusstsein und genau das sei der Grund dafür, dass Deutschland
sich zurückhalten müsse. Nun, in gewisser Hinsicht gibt die Realität Schmidt
Recht. Verschiedene europäische Zeitungen warnen vor einem „vierten Reich“, vor
einer Art Diktatorin Angela Merkel, vor der Herrschaft der Bunderepublik, die
doch gerade zum dritten Male Europa zerstören würde. Gewiss, objektiv mag das
großer Blödsinn sein. Aber allein der Umstand, dass es derlei Gedanken gibt,
belegt das Bestehen von Vorurteilen gegenüber Deutschland oder vielmehr, dass
die Vergangenheit präsenter ist, als es wünschenswert ist.
Darf
Deutschland Europa also führen?
Diese Frage
ist von erheblicher Bedeutung, blickt man auf die sich zuspitzende Situation
innerhalb der Europäischen Union. Helmut Schmidt entstammt einer Generation,
die Zeuge eben jenes Weltkrieges wurde. Es ist allzu verständlich, dass er
sagt, Deutschland dürfe nicht führen. Aber es könnte sich so entwickeln, dass
die Sachlage die Bundesrepublik dahingehend zwingt zu führen. Weil derzeit
Deutschland das wirtschaftsstärkste Land ist, scheint es, als ob nur wir die
Krise lösen könnten. Als ob nur Deutschland den Weg aufweisen könnte. Das wird
erneut Misstrauen auslösen, wird zu Unterstellungen führen. Vermutlich wird
diese Sachlage aber kommen. Früher oder später, auf Wochen kommt es letztlich
nicht mehr an. Bis dahin sollte sich das Land aber klar darüber sein: Können
wir, dürfen wir führen?
Die Frage
ist mit einem „Ja, aber“ zu beantworten. Ja, wir müssen und dürfen Europa aus
der Krise führen. Deutschland hat gar keine andere Wahl als sich dieser Rolle anzunehmen.
Es wird Pläne entwerfen und in den Diskussionsprozess einführen müssen; es wird
sich auch einer europabejahenden Rhetorik bemühen müssen. Es wird im Diskurs
mit Zweiflern wie England harte Überzeugungsarbeit leisten müssen. Doch dies
ist bereits Teil des „Abers“. Führung kann nicht in dem Sinne gemeint sein,
dass Deutschland den Weg diktiert und den Vorwürfen aus griechischen und
italienischen Boulevardmedien Vorschub leistet. Führung muss heißen: Angebote
unterbreiten, Kompromisse suchen, finden und eingehen. Eigentlich heißt es:
ganz normale politische Arbeit des bevölkerungsreichsten europäischen Landes.
Klasse Artikel - mein Lieblingsteil ist das Wortspiel mit "Frangela [und nicht von] Merde" ;)
AntwortenLöschenIch glaube, vor allem mit der europäischen Achse hast du einen guten Punkt erwischt: Seit dem Ende von Merkozy steht Merkel auf verlorenem Posten, wodurch sich die Aggressionen noch stärker auf eine Person bzw. ein Land konzentrieren können. Würde sie sich mit Hollande und / oder Monti wirkungsvoll verbünden können, wäre alles ein ganzes Stück wirkungsvoller und stärker. Aber leider sind es ja gerade die drei, die sich derzeit gegenseitig auseinandernehmen.
Besser wäre es natürlich, es gäbe eine starke direkt demokratisch legitimierte europäische Person oder Regierung, die diese Führung übernehmen könnte. Aber darüber sprechen wir dann wohl besser nochmal in ein paar Jahren...