VON HENNING RASCHE
Verlässlichen
Quellen zur Folge gibt es sie tatsächlich, die Homosexuellen. Zwischen fünf und
zehn Prozent der deutschen Bevölkerung sollen, laut Statistik, sexuell dem
eigenen Geschlecht zugeneigt sein. Das bedeutet, dass es theoretisch keinen Ort
gibt, an dem sich Homosexuelle nicht aufhalten. Es gibt sie in Politik, Kirche,
Sport, Handwerk, wie in jedem anderen gewöhnlichen Beruf auch. Homosexuelle sind
Teil dieser deutschen Gesellschaft. Einfach, weil es sie gibt. Soweit die Theorie.
In der Praxis sieht es oft anders aus. Im darwinistischen Geschäft der
Fußballbundesliga gibt es keinen einzigen aktiven Spieler, der sich offen der
Homosexualität bekennt. Die katholische Kirche ist ohnehin davon befreit, leben
die Priester doch nur von der Liebe zu Gott. In der Politik gibt es immerhin
eine Handvoll offen lebender Homosexueller. Dort ist es womöglich der beste
Ort, um frei zu leben, gelten im politischen Diskurs in Deutschland Angriffe
auf das Privatleben, wie es in Amerika möglich ist, doch als unseriös. Im
privaten Leben aber, das jeder Mensch führt, taucht hie und da ein
Quotenschwuler, eine Quotenlesbe auf. Mit ihm oder ihr zeigt man sich dann
gerne, geht mit der Person shoppen oder feiern. Das können sie ja, die vom
anderen Ufer. Die Diskussionen, die derzeit über Schwule in der Fußballbundesliga
und über die Homo-Ehe geführt werden, sind geprägt von den Differenzen aus
normativer Theorie und rosaroter Praxis. Dort die pluralistische Gesellschaft,
die für jeden Sinnstiftungsentwurf offen zu sein scheint und hier der Schwule,
der doch irgendwie nur ein lebendes Accessoire auf zwei Beinen ist, das als
chic gilt und tolerant macht.
Im
Jugendmagazin „fluter“ erschien kürzlich ein Interview eines Journalisten mit
einem vermeintlichen Bundesligaprofi, der als Star der Szene beschrieben wird,
und der sich, selbstverständlich anonym, als schwul outet. Das Interview stoß
auf ein breites mediales Echo, die Fußballzeitschrift „Elf Freunde“ bezichtigte
den Journalisten einer Fälschung. Die Umstände wiesen darauf hin, dass das
Gespräch so nicht stattgefunden haben könne. Wie auch immer. Entweder das
Interview ist echt und es wirft einen dunklen Schatten auf das Business
Bundesliga, weil in ihm nur die vermeintlich männlichsten Männer überleben
können und Schwule bekanntlich mit gebrochenen Handgelenken umher laufen,
mithin nicht den Mumm haben, eine Grätsche anzusetzen oder auf den Platz zu
rotzen. Oder das Interview ist unecht. Dann wirft es einen ebenso dunklen
Schatten auf das Business Bundesliga, weil in ihm Homosexuelle schlicht nicht
vorkommen dürfen. Weil es sie nicht gibt. Eine „Spielerfrau“ hat ja so ziemlich
jeder. Das Beispiel Bundesliga ist für die Gesellschaft – leider – sinnbildend.
Die Stadien sind nicht mehr nur mit Fanatikern besetzt, auch Familien, Kinder und
Frauen sind dort Stammgäste. Selbstredend ist das eine schöne Entwicklung,
weil Fußball so der Familienzusammenführung dienen kann. Der Gemeinschaft. Aber
wenn Familien immer mehr in das Zentrum der Stadien rücken, dann heißt das
auch, dass die Stadien und mit ihr die ganze Fußballkultur toleranter wird. In
diesem vermeintlich toleranten, jedenfalls aber gemischten Umfeld, können sich
schwule Profis dennoch nicht aus der Versenkung trauen. Es zeigt: die normale
Gesellschaft hat ein Problem mit Schwulen.
Das zeigt
sich jeden Tag auf Schulhöfen, Universitäten und in Bürogebäuden. Witze über
Schwule und Lesben sind keine Witze der Selbstironie, es sind und bleiben Witze
der Verletzung, der Beleidigung. Wie lustig es doch immer noch sein muss, wenn
sich jemand beim Duschen nach der heruntergefallenen Flasche Duschgel bückt.
Haha. Schwul darf der Außenminister sein, der ist immun gegen Angriffe. Er hat
die Autorität eines Ministers, eines Politikers. Ihn darf man angreifen, wenn
er politischen Mist baut, niemals aber, weil er einen Mann liebt. Das ist im
normalen Umfeld schlicht anders. Der Nachbar darf nicht schwul sein, will er
nicht ständig der Observation der Straße ausgeliefert sein. Und so bleiben die
meisten schwulen Männer und die meisten lesbischen Frauen noch immer unerkannt.
Sie bekommen gesellschaftliche Probleme, wenn sie sich bekennen. Diese Wahrheit
ist furchtbar. Furchtbar ist aber auch, dass es die Wahrheit ist. Es will so
gar nicht zu dem pluralistischen Deutschland passen, dass Homosexuelle sich selbst
verleugnen müssen – oder besser: zum Selbstschutz verleugnen sollten.
Gewiss, es gibt auch den „normalen“ Schwulen.
Denjenigen, der Fußball spielt, der Freunde hat, der Bier trinkt, der auf den
Platz rotzt und somit ist wie die große Mehrheit der Menschen auf diesem
Planeten. Die Debatten in Deutschland aber sind weiterhin geprägt von vielen
Vorurteilen. Damit ist nicht die Politik gemeint, die sich in der Sonne des
pluralistischen Grundgesetzes wärmen kann. Damit ist die Gesellschaft gemeint,
gerade abseits von tolerant wirkenden Großstädten, die noch immer glaubt,
Homosexualität könne man heilen und Tipps geben wie: „Du hast die richtige halt
noch nicht gefunden.“ Im bourgeoisen Mittelstand, dem linksliberalen
Bildungsbürgertum mag Homosexualität normal geworden sein. Aber es bleibt noch
genügend Raum für Klischees. Schwule, die sich einmal im Jahr auf dem Christopher
Street Day in ein Papageienkostüm hüllen und dann wie die Verrückten auf der
Straße rumhopsen. Solche Bilder untermauern Klischees, sie helfen nicht, sie
abzubauen. Und so bleibt es offenbar ein Teufelskreis. Der eine wartet auf das
Outing des anderen. Wenn sich jeder Schwule, jede Lesbe outen würde, dann würde
offenbar, wie groß die Teile der Gesellschaft sind, in denen sie sich befinden.
Dann würde ihre Akzeptanz gleichermaßen gesteigert. Das ist aber schon wieder
nur die Theorie. Schwul sind halt immer nur die anderen.
Autoren solcher scharfsinnig verfasster Ausnahmeartikel sind leider selten heterosexuell.
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