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VON HENNING RASCHE

Der Papst, die Institution also, die sich doch längst überlebt hat, deren Rolle im Laufe der gesellschaftlichen Revolution im Brackwasser der Beliebigkeit zu versinken droht, heißt Franziskus, ist Argentinier, Jesuit, 76 Jahre alt und nannte sich bis zum gestrigen Abend noch Jorge Mario Bergoglio. So simpel ist die Botschaft, die das Konklave hervorgebracht hat. Ein Lateinamerikaner – welch positive Botschaft! Ein Mann für die Armen – welch positive Botschaft! Einer unter 80 – welch positive Botschaft! Ein Jesuit – welch positive Botschaft! Ein sanfter Reformer – welch positive Botschaft! Ein bescheidener Typ – welch positive Botschaft! Es ist ganz einfach: Für jeden, der möchte, hat die Wahl von Franziskus etwas Gutes, ein Zeichen für den Aufbruch der katholischen Kirche. Andersherum geht das aber eben genauso gut: Ein Gegner der Homo-Ehe – welch negative Botschaft! Ein Mann, dessen Rolle während der argentinischen Militärdiktatur zumindest zweifelhaft erscheint – welch negative Botschaft! Ein sanfter Reformer, ein Bremsklotz also – welch negative Botschaft! Einer unter 80 und nicht unter 70 – welch negative Botschaft! All dies ließe sich fortspinnen, bis dieser Text auch den letzten Leser verloren hätte. Das gestrige Spektakel im Vatikan, das so völlig aus der Zeit gefallen schien, zeigt, das Interesse am Heiligen Stuhl ist ungebrochen. Die Hoffnungen, die ein 76 Jahre alter Mann wecken kann, belegen, dass die katholische Kirche nicht am Ende ist, sondern sich vieler Anhänger erfreuen darf. 



Selbstverständlich darf man der Auffassung sein, dass all dies einen nichts angeht. Dass die päpstliche Existenz das eigene Leben in keiner Weise verändert. Dass auch Franziskus die Probleme dieser Welt nicht lösen kann oder wird. Dass die katholische Kirche mit ihren Lehren Geschiedene, Homosexuelle, Frauen und sämtliche anderen Religionen diskriminiert. Es ließe sich gar unterstellen, all diese Auffassungen seien zutreffend. Doch all dies zusammengenommen ändert nichts daran, dass es einen verdammt großen Haufen Menschen gibt, die nicht nur formell katholisch sind, sondern auch praktisch. Die Sichtweise also, dass die katholische Kirche mit ihrem Oberhaupt, dem Völkerrechtssubjekt Papst Franziskus, beinahe vor dem Ende steht, ist eine sehr europäische, respektive sehr deutsche Sichtweise. In vielen Teilen dieser Erde wie eben Argentinien, dem übrigen Lateinamerika oder Afrika gibt es streng gläubige Katholiken. Menschen, die den Papst nicht nur für einen alten, einsamen Mann ohne Macht halten, sondern für ihren geistlichen Führer, gern auch ohne den Zusatz geistlich. Und genau das macht Franziskus zu einem der mächtigsten Menschen der Welt. Der weitaus kleinere Teil der 1,2 Milliarden Katholiken schert sich nicht um das päpstliche Geschwätz. Das gibt ihm aber nicht das Recht, den Großteil für rückschrittlich oder gar blöd zu halten. Im Gegenteil: der kleine Teil muss den großen ernstnehmen, will er mit seinen Ansichten überzeugen. Nur die Auseinandersetzung kraft Argumenten wird zu minimalen Erfolgen führen. 

Diejenigen aber, die sich jetzt enttäuscht zeigen, dass der neue Papst Homosexualität gegenüber kritisch – um es milde zu formulieren – ist, seien gefragt, ob ihre Erwartungen nicht völlig fernab der Realität waren. Warum um Himmels Willen, sollte ein Papst Homosexualität toll finden? Er ist männlich, katholisch und furchtbar alt. Man mag diese ollen Rituale, dieses Gehabe mit Kettchen, Hütchen, Ringen, für albern halten. Man kann sogar – wie es kürzlich über Benedikt XVI. hieß – den Papst zu einem „homophoben Massenmörder“ erklären. Nur: es hilft dies nicht weiter. Der Papst muss mit seiner enormen geistigen Macht über einen großen Teil der Menschen selbstverständlich kritisch hinterfragt werden. Er darf aber nicht bagatellisiert oder verharmlost werden. Die katholische Kirche hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und es ist unwahrscheinlich, dass Missbrauchsskandale oder die Vernachlässigung von Frauen sie ausgerechnet jetzt an den Rand ihrer Existenz führen. Wir müssen uns nicht fügen, aber wir säkularen Kirchenkritiker stehen einem sehr großen Teil gläubiger Schäfchen gegenüber. Das gilt es bei jeglicher Kritik zu bedenken. An seinem ersten Tag ist Papst Franziskus wunderbar: eine Hülle, die jeder auffüllen kann, wie er mag. Sie kann mit Erwartungen bis zum Platzen überfrachtet oder mit Resignation ausgesaugt werden, bis nichts übrig bleibt. Wenn der Herr seinen Stellvertreter eines Tages dann zu sich holt, werden wir uns fragen, was von ihm geblieben sein wird. Mit Blick auf die vielen Gläubigen bleibt nur zu wünschen, dass es mehr ist, als eine leere Hülle.

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