VON
HENNING RASCHE
Nun
also Ulrich Hoeneß. Der Präsident des Fußballclubs Bayern München hat Steuern
hinterzogen und sich aus diesem Grunde im Januar selbst angezeigt. Erst vor kurzem
wurde bekannt, dass der oft in der Öffentlichkeit engagierte und moralisch
anspruchsvolle Hoeneß, ein Konto in der Schweiz hat, mit dem er Abgaben an den
deutschen Fiskus umgehen wollte. Die Causa Hoeneß wirft jede Menge Fragen auf.
Für die öffentliche Meinung ist die Sache jedoch längst klar. Dazu reicht es,
wenn in der „Bild“-Zeitung ein prominenter Name, der Begriff „Steuerhinterziehung“
und eine hohe mindestens siebenstellige, zumeist sachfremde Summe nebeneinander auftauchen. „Jetzt
der Hoeneß. Die kriegen doch alle ihren Hals nicht voll“, heißt es. Ähnlich wie
im Falle Wulff, wo nicht Steuerhinterziehung, sondern Korruption der Begriff
der Stunde war, werden Prominente in Zeiten der immer schneller werdenden
Informationen in kürzester Zeit verurteilt. Der streitbare Sportjournalist
Marcel Reif sagte dazu: „Ich bin froh, dass wir eine Justiz haben – und keine
Volksjustiz.“ Ein intelligenter Satz, der den Nagel doch auf den Kopf zu
treffen scheint. Was gilt noch in unserem Rechtsstaat? Einzelfallgerechtigkeit?
Steuerhinterzieher sind Verbrecher. Klar, doch hilft es wirklich weiter, alle
gleichermaßen in demselben Schnellkochtopf zu verbrühen?
Uli
Hoeneß ist ja nicht irgendeine Person. Wohl niemand im deutschen Fußball wird
häufig so stark angegriffen für seine Auffassungen wie er, wohl niemand
polarisiert wie er. Dabei erkennen ein paar Umstände sogar seine schärfsten
Kritiker an: der deutsche Fußball (und eben nicht nur der FC Bayern) haben ihm
jede Menge zu verdanken. Er war es, der die Liga durch attraktive Zugänge immer
weiter nach vorn gebracht hat. Und neben dem fußballerischen steht sein
soziales Engagement, das unbestreitbar ist. Immer wieder spendete Hoeneß große
Mengen Geld. Er war die treibende Kraft hinter der Dominik-Brunner-Stiftung,
als dieser an einer Münchner S-Bahn Station totgeprügelt wurde. Er war es, der
in der Allianz Arena das Wort ergriff und nicht irgendein Phrasengedresche
betrieb, sondern die Herzen der Menschen bewegte. Und ganz nebenbei: Uli Hoeneß
ist wohl einer der zahlungskräftigsten Steuerzahler unseres Landes. Kaum jemand
führte so viel an den Fiskus ab wie er. Klar, es gibt auch kaum jemanden, der
so viel verdient wie er. Aber dieses Gegenargument ist nur bedingt tragfähig.
Sebastian Vettel, Michael Schuhmacher, Franz Beckenbauer und viele andere
Sportstars dieses Landes sind nämlich so genannte Steuerflüchtlinge, die ihren
Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik anmeldeten, um nicht hier den höheren
Steuersatz zu zahlen. Uli Hoeneß wohnt am deutschen Tegernsee, zahlte in seinem
Leben etliche Millionen Steuern und hat jetzt zum ersten Mal das Gemeinwohl
betrogen. Die Beckenbauers und Vettels haben bisher äußerst wenig zu eben
diesem Gemeinwohl beigetragen.
Steuerhinterziehung
ist kein Kavaliersdelikt, heißt es jetzt oft – geschenkt. Wer wird das wohl
ernsthaft bestreiten wollen? Es werden in ganz Deutschland sehr wenige Menschen
zu finden sein, die öffentlich behaupten würden, das sei völlig in Ordnung. Aber
es muss doch Einzelfallgerechtigkeit herrschen. Es ist schlicht unfair, Uli
Hoeneß von einem auf den anderen Tag fallen zu lassen. Für den Autor dieser
Zeilen war Uli Hoeneß lange Zeit ein Vorbild. Weil er immer den Eindruck hatte,
da sagt einer, was er denkt und meint es auch ehrlich. Da tut einer was für die
Gesellschaft und ruht sich nicht auf den eigenen Millionen aus. Da hilft einer
anderen, wenn sie in Not sind. Da ist jemand, dem die Schwächsten nicht egal
sind. Diese Auffassung bleibt bestehen. Es bleibt dennoch ein großer innerer
Konflikt, wie mit der Causa Hoeneß umzugehen ist. Verzeihen ist dieser
Gesellschaft fremd geworden. Medien, die eigentlich aus dem Fall Wulff
lernen wollten, setzen ihre Verfolgungsjagd fort. Spekulationen werden zu
Gewissheiten, Gewissheiten zu Urteilen.
Und
doch gibt es ein paar simple Fragen, die bisher ungeklärt sind. Wieso versucht
jemand, der in seinem Leben geschätzt 50 bis 60 Millionen Euro Steuern gezahlt
hat, drei Millionen zu unterschlagen? Macht das Sinn? Oder ist das nicht völlig
widersprüchlich? Wenn jemand sein Leben lang so viel Geld an das Finanzamt
abführt, warum zur Hölle, soll dieser Mensch einen Bruchteil dessen
hinterziehen? Und warum stellt diese Frage in den klugen Medien niemand? Warum
wurde Hoeneß vorrübergehend verhaftet, obwohl dies bei Selbstanzeigen sehr unüblich
zu sein scheint? Steckt da also noch viel mehr hinter, als der Öffentlichkeit
bisher bekannt ist? Oder gibt es vielleicht auch in München (wie in Hannover)
junge Staatsanwälte am Anfang ihrer Karriere, die ein prominentes Opfer
brauchen, um sich profilieren zu können? Bisher also ist kaum etwas
auszuschließen. So lange aber diese Fragen nicht geklärt sind, muss endlich
auch in der öffentlichen Meinung die Unschuldsvermutung gelten. Hoeneß zu einem
Schwerverbrecher, einer Persona non grata zu sterilisieren, bevor der
Sachverhalt überhaupt geklärt ist, ist einer verantwortungsvollen Presse, eines
demokratischen Rechtsstaates unwürdig. Im Übrigen ist es wohl auch der Person
Ulrich Hoeneß unwürdig. Vermutlich schämt er sich selbst. Es wird Zeit, Nachrichten
gelassener zu kommentieren und zu analysieren. Uli Hoeneß hat diese Zeit
vorerst verdient.
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