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Wir gratulieren. Bei Zeiten. Vielleicht.




VON HENNING RASCHE

150 Jahre, so alt ist tatsächlich noch kein Mensch geworden. Am 23. Mai 2013 aber feiert eine Partei und mit ihr eine Idee Geburtstag – 150 Jahre Sozialdemokratie. Die SPD ist damit die älteste Partei Deutschlands: sie kann auf ihre stolze Geschichte verweisen wie keine der Konkurrentinnen. Schillernde Namen verbergen sich hinter der SPD. August Bebel, Ferdinand Lassalle, Kurt Schumacher, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner und, um die gänzlich willkürliche und unvollständige Liste zu beendigen, Gerhard Schröder. Mit diesen Namen verbinden Menschen heute gute und schlechte Dinge, wie es in der Politik oft der Fall ist. Es gibt in der Historie der SPD Momente, auf die es stolz zu sein gilt. Auf die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes 1933 und den damit verbundenen unvergessenen Worten Otto Wels‘: „Unsere Freiheit und unser Leben kann man uns nehmen – die Ehre nicht.“ Der Kniefall von Willy Brandt zählt ebenso dazu. Doch so prägend die großartigen Momente deutscher Sozialdemokratie auch waren, so umstritten ist ihre heutige Ausrichtung.


In den jüngsten Ausgaben der ZEIT beispielsweise verwendete die Hamburger Wochenzeitung, deren Mitherausgeber wohlbemerkt Altbundeskanzler Schmidt ist, stets eine Doppelseite, um auf grundsätzliche Fehler der SPD aufmerksam zu machen. Die Süddeutsche Zeitung wiederum sprach in ihrer Wochenendausgabe vom „Genossen Sisyphos“ und davon, dass die SPD oft keine Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit habe. Im Einzelnen und Abstrakten sind wohl viele der dort untergebrachten Vorwürfe an die derzeitigen Akteure der stolzen sozialdemokratischen Partei möglicherweise berechtigt, ihre kumulative Erwähnung mag auch mit dem Jubiläum begründbar sein, verstörend ist es dennoch. Denn so haftet der SPD ein Image an, das selbst Kritikern nicht zu beschreiben gelingt. Mal soll die Partei verstaubt sein, zurückgeblieben jedenfalls, unsicher im Umgang mit der rätselhaften Agenda 2010, zu staatstragend oder zu kontrastarm. Irgendwie wollten doch alle das, was die SPD will, heißt es. Wozu dann SPD? Es sind unfaire Vorwürfe, unfaire Fragen und unfaire Kommentare, die größtenteils verlautbart werden. Welche Partei im Deutschen Bundestag hat sich schon nicht zu fragen, ob ihr Organisationstatut nicht mal erneuert werden sollte? Doch die SPD darf sich nicht hinter dem zutreffenden Vorwurf der mangelnden Fairness verstecken, sie muss – womöglich mehr als ihre Konkurrenten – beweisen, welch Potenzial an Regierungskraft sie hat.

Unliebsame Entscheidungen, die dem Land nützen, kann die SPD treffen, was die Agenda 2010 eindrucksvoll noch heute zu beweisen vermag. Andere Parteien, die auch derzeit an der sogenannten Bundesregierung beteiligt sind, blieben bis heute einen solchen Beweis schuldig. Solch eine Entscheidungsfreude als politische Dummheit zu werten, setzt falsche Prämissen voraus. Nicht die Wiederwahl der eigenen Partei ist das Ziel, sondern das Wohlergehen des Landes. Blanker Idealismus? Nein, ein aufrichtiges Verständnis von Demokratie und Staat. Angela Merkel beispielsweise ist absolut entscheidungsunfreudig – es ist bezeichnend, dass nicht die CDU, sondern Merkel gegenwärtig der SPD als Kontrahent entgegen gehalten werden muss -, sie führt keine Regierung im klassischen Sinne, sondern eher eine Behörde, die verwaltet und abarbeitet, was anfällt. Von positiver Regelung und Gestaltung ist dort keine Spur. So macht sie auch keine Fehler (oder kaum) und wird dafür von der Öffentlichkeit gefeiert. Nur wer sich Meinungen leistet, eckt an.

Die SPD hat sich in 150 Jahren immer Meinungen, zum Teil sehr streitbare, geleistet. Heute wird die SPD stets mit Zynismus und Ironie betrachtet, als ginge dort der alte Opi, der nicht mehr recht weiß, wo er hingehört. Ein trügerisches Bild, dessen arroganter Blickwinkel sich erst beim genauen Hinsehen offenbart. Die SPD ist alt, aber nicht altbacken. Sie hat Probleme wie fast alle Vereine dieser Republik. Sie sucht Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit – das ist ihre verdammte Aufgabe. Sie sucht diese Antworten aber auch immer vor dem Hintergrund ihrer Historie: Sozialdemokratie verpflichtet. Vielleicht wird der SPD bei Zeiten gratuliert, für ihre Lebensleistung. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, von Dank soll hier gar nicht erst die Rede sein. Vielleicht sollten 150 Jahre Sozialdemokratie in Deutschland aber auch als Beweis dafür dienen, dass es auf die Menschen ankommt, nicht auf Weinflaschen, Eierlikör und andere schlechte Witze. Lustig machen, amüsieren, das kann jeder. Wer kann 150 Jahre lang verantwortungsvolle Politik machen?

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