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Im Schlafwagen



VON HENNING RASCHE

Nur schwer können Politiker der verschiedensten Parteien leugnen, dass der Wahlkampf 2013 begonnen hat. Wenn er auch noch lange nicht in seine heiße Phase eingetreten ist, so sind dennoch die letzten 100 Tage vor der Bundestagswahl am 22. September angebrochen. Spannung garantiert? Nein, danach sieht es momentan überhaupt nicht aus. Die Union ruht auf komfortablem Vorsprung, die Herausforderer fordern sich selbst am meisten. Wie könnte ihnen nun wohl noch die Kehrtwende gelingen? Inhalte müssen her. Themen setzen, die dem Gegner schaden, bei denen er schlecht aussieht. Doch wie soll das gehen? Der Wahlkampf zum 18. Deutschen Bundestag ist entpolitisiert. Sachthemen werden zwar angerissen, debattiert aber zuvorderst persönliche Verfehlungen und Vorzüge. Diese Tendenz gibt es gewiss schon seit ein paar Jahren, aber in einer solch drastischen Ausprägung ist der inhaltsleere Wahlkampf 2013 einzigartig. 


Man muss sich das schon vorstellen: in manchen Teilen Europas kämpfen Menschen mit härtesten Schicksalsschlägen, die nicht enden wollende Krise zieht weiter ihre Kreise. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in einigen südlicheren Regionen der Union bei über 50 Prozent – mehr als jeder zweite junge Erwachsene hat keine Arbeit, keine Perspektive, keine Zukunft und keine Gegenwart. Im unbeugsamen Deutschland, das einen enormen Anteil an der Willensbildung innerhalb der Europäischen Union innehat, spricht man derweil über Eierlikör, Weinpreise, schöne Augen und, in manch mehr oder minder lichtem Moment, über Drohnen und Fluten. Die drängenden Probleme der EU – sie spielen im bundesrepublikanischen Volk keine wesentliche Rolle, nimmt man die wesentlichen Medien zum Maßstab. Aber auch auf der Suche nach anderen Themen die wahlkampfbestimmend sind, wird man nur müßig fündig. Ein bisschen wirkt es wie bei einem Kind, das den Wunschzettel zu Weihnachten füllen soll, aber schon alles hat. Sind die Deutschen wunschlos glücklich oder längst politisch eingeschläfert?

In einer Demokratie ist der parteipolitische Wettbewerb nicht nur erwünscht, sondern sogar überhaupt erst Voraussetzung für das Bestehen von Parlamenten, die dem demokratischen Prinzip gerecht werden können. Der Wettbewerb kennzeichnet sich durch das Werben um Wähler, um das Streiten in der Sache, um das bessere Argument – in der Theorie. Doch mit einer Bundeskanzlerin, der es vollständig an Kreativität und eigenen Ideen mangelt und einer Berichterstattung, die sich immer seltener um fachliche Fragen dreht, verkommt dieser Wettbewerb zu einem Scheinwettbewerb. Ein Beispiel: die Opposition entwickelt das Modell der Mietpreisbremse, eine Idee, um den stetig steigenden Wucher in der Branche zu bändigen. Sie will damit eine Gegenthese zur derzeitigen Bundesregierung aufstellen, deren bisherige Auffassung geprägt war vom Nichtstun. Nun fällt dieser Bundesregierung oder vielmehr ihrer Chefin auf, dass die Idee der Opposition möglicherweise ganz gut beim Wähler ankommen könnte. Also übernimmt die Regierung die Idee insofern, als dass sie verspricht, im Falle der Wiederwahl eben jene Mietpreisbremse umzusetzen. Es ist beinah verrückt – warum hat sie das nicht in den vergangenen vier Jahren getan?

Die Union besitzt nicht einmal mehr ein Wahlprogramm. Sie startet damit in einen Wahlkampf völlig ohne konkrete Vorstellungen, was zu tun wäre oder sein könnte oder jedenfalls gefällige Geschenke wären. Eine Regierungspartei verzichtet auf das Wahlprogramm, einen späteren Entwurf will sie gar nicht mehr vom Parteitag absegnen lassen. Dass dies möglicherweise einen Verstoß gegen den sogenannten Parteitagsvorbehalt darstellte, interessiert niemanden. Die Regierung hat so viel verbockt, dass ihr der Laden praktisch um die Ohren fliegen müsste. Doch die stetige Entpolitisierung des Wahlkampfes, das Abräumen von Themen, die asymmetrische Demobilisierung, schläfert selbst den interessierten Politikbeobachter ein. Diese Strategie Merkels mag ihr die Macht sichern, schadet aber in erheblichem Maße dem Ansehen der Demokratie Deutschlands. Die Wahlbeteiligung wird weiter sinken, weniger Menschen werden Union wählen – für Frau Merkel immer noch gerade genug.

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