Von
Henning Rasche
Da
fliegt ein erwachsener Mann mit Brille in die USA, kehrt in sein Heimatland
Deutschland zurück, und ist stolz darauf, die Hand des Vizepräsidenten
geschüttelt haben zu dürfen. Da sitzt eine erwachsene Frau auf vor einer Wand,
verziert mit einem riesigen Bundesadler, und verkündet, es sei nicht ihre
Aufgabe, sich in die Details irgendwelcher Programme einzuarbeiten. Da ist noch
ein Mann, ebenfalls mit Brille, aber blond und ohne Locken, der im Auftrage der
Frau vor der Wand erzählt, man wisse von nichts. Schenkt man seinen Worten
Glauben, dann ist Ahnungslosigkeit sein primäres Ziel, seine Aufgabe. Das alles
könnte ziemlich vielen Menschen furchtbar egal sein, wenn nicht der erste Herr
Bundesinnenminister Friedrich wäre, die Dame auf den Namen Angela Merkel hörte
und der Drittgenannte nicht Ronald Pofalla wäre – der Chef des
Bundeskanzleramts und mithin auch der deutschen Geheimdienste. Diese drei aber sind
Protagonisten einer Posse, eines Skandals, einer völlig irren Geschichte, die
sich mehr oder weniger auf dem Territorium der Bundesrepublik abspielt. Sie
alle haben ihren Auftraggeber – das deutsche Volk – bevormundet,
höchstwahrscheinlich belogen und, womöglich der schwerwiegendste Vorwurf, nicht
vor einem millionenfachen Bruch ihrer Grundrechte bewahrt. Sie haben sich als
gänzlich ungeeignet erwiesen, ihre Ämter weiter auszuüben. Sie sind
ihren Aufgaben nicht Herr geworden. Sie alle müssten sich entschuldigen und
ihre Ämter zur Verfügung stellen. Umgehend. Oder am besten rückwirkend.
Die
Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden stellen
die bisher so geordnet zu scheinende Welt der deutschen Bürger auf den Kopf.
Ihre Daten werden gespeichert, womöglich kontrolliert, gelesen, ihre Telefonate
abgehört, was auch immer sich George Orwell vorstellen konnte, es ist längst
Realität geworden. Eigentlich kluge Menschen sagen stumpfe Dinge, einstmals als
Verschwörungstheoretiker abgestempelte IT-Spezialisten erklären uns nun das
Vorgehen der NSA. Es ist eine Geschichte, die besten Stoff für Hollywood böte,
wenn es nicht um dramatische Dinge ginge. Die deutsche Bundesregierung hat sich
nicht nur als unfähig entlarvt, die Grundrechte ihrer Bürger zu schützen, sie
hat sich womöglich an eben jenem Grundrechtsbruch auch noch aktiv beteiligt,
ihn jedenfalls aber geduldet und toleriert. Angela Merkel preist Aufklärung,
fährt aber erst einmal in den Urlaub – ist ja auch wichtig. Die ARD sendet
Brennpunkte zu sommerlichem Wetter, wie PRISM buchstabiert wird, weiß der
zuständige Redakteur wohl nicht. „HITZE“ ist einfacher. Es würde reichen
unzählige solcher Abarten aufzulisten, um den Skandal handfest zu machen. Doch
es scheint, als gelinge dieser unsäglichen Frau, die scheinbar einem Hort
devoter Schulknaben vorsitzt – mal wieder – alles an sich abperlen zu lassen.
Merkel
hat Fehler um Fehler gemacht. Sie hat die Angelegenheit in die Hände ihres
unzweifelhaft unfähigen und vollkommen irrlichternden Innenministers gelegt,
der sich durch die ahnungslose Bemerkung, es gebe da ein „Supergrundrecht
Sicherheit“ selbst diskreditiert hat, anstatt die Abhörmaßnahmen zur Chefsache
zu erklären. Im Übrigen: das Supergrundrecht Sicherheit gibt es natürlich
nicht. Es gibt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2
des Grundgesetzes, ja. Aber damit lassen sich schwerlich umfängliche Abhörmaßnahmen
rechtfertigen, die 80 Millionen Bundesbürger unter den Generalverdacht des
Terrorismus stellen. Kein Grundrecht darf in seinem Sinn so eingeschränkt
werden, dass sein Wesensgehalt nicht mehr zu erkennen wäre. Genau das passiert
aber mit dem Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme, sowie dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung. Gewiss: Merkel zapft die Leitungen nicht in persona an, das
übernimmt die NSA. Die Bundeskanzlerin muss aber davon gewusst haben. Wobei
auch das kaum noch eine Rolle spielt. Kommt es darauf an, dass die Regierung
etwas wusste und nichts tat oder, ob sie so inkompetent ist und die
millionenfache Verletzung der Grundrechte ihrer Bürger nicht mitbekommt?
Man
habe ja nichts zu verbergen, heißt es nun. Oder: Wer auf Facebook Daten preisgibt,
sei selbst schuld. Das verkehrt das Prinzip Datenschutz ins Gegenteil. Nicht
der Bürger muss darauf achten, dass der Staat seine Rechte nicht verletzt,
sondern freilich ist die Lage andersherum. Allein, dass man dieses Prinzip
erklären muss, zeigt die Bedrohlichkeit der Situation. Gewiss kann ich mein
Telefon in den Kühlschrank legen, meine E-Mails verschlüsseln, wenn ich das
will. Aber ich will es nicht müssen. Ob ich auf Facebook meinen
Lieblingsmusiker angebe oder sonstige Daten dort hinterlassen, kann ich selbst
entscheiden. Ob der Staat, die NSA oder der BND, mich überwacht,
nicht. Dass wer nichts zu verbergen habe, sich nicht fürchten müsse, ist ein
wundersam dümmliches Argument. Auch hier muss die Entscheidungsfreiheit beim
Einzelnen liegen, der selbst beurteilt, was er verbirgt und was nicht. Schon
die Möglichkeit abgehört zu werden, schränkt die Freiheit ein. Wer abgehört
wird, handelt unfrei. Diese massiven Einschränkungen mit vier, fünf oder sieben
(wie viele, weiß der BND nicht mehr so genau) vereitelten Anschlägen zu
rechtfertigen, ist schlicht nicht möglich.
Edward
Snowden ist mithin ein armes Schwein, das vielleicht den Fehler gemacht hat,
nicht vor den Enthüllungen zu fliehen. Dass er vor Staaten, die sich selbst als
Rechtsstaaten bezeichnen, fliehen muss, ist schlimm genug. Zum Rechtsstaat
macht einen nicht der Name, sondern die Vorgehensweise. Bei den Vereinigten
Staaten von Amerika dürfen da jedenfalls leise Zweifel laut angemeldet werden.
Das kann auch eine deutsche Bundeskanzlerin tun, die nicht unter der
Knechtschaft der USA steht, sondern einen stolzen und souveränen Staat regiert.
Hierzulande wird das Schicksal von Snowden mit größerer Verwunderung
betrachtet, als die Maßnahmen, die die Regierung zur Eindämmung der Abhörmaßnahmen
ergreift. Ob ihm Asyl gewährt hätte werden sollen, was er in Moskau will, warum
die Chinesen ihn haben gehen lassen und was er in Venezuela oder sonst wo will –
all das sind für die Kanzlerin dankbare Nebenkriegsschauplätze, die von ihrem
eigenen Versagen ablenken. Die deutsche Bevölkerung ist im Sommerurlaub. Das
Talent sich zu empören ist ihr ohnehin irgendwann abhandengekommen. Als der
Staat 1982 drei einzelne Daten während der ersten Volkszählung erheben wollte,
gingen die stolzen Bürger massenweise auf die Straße – sie empörten sich
gewaltig. Heute passiert nichts mehr. Demonstrationen finden allenfalls gegen
zu schwere Matheklausuren statt. Die Empörung erschöpft sich darin, mal wieder
auf Mutti zu vertrauen. Mutti wird’s schon richten. Klar, wie immer. Wir haben
ja gesehen, wie toll sie sich kümmert.
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