Mit
derselben Regelmäßigkeit wie der Wahlkampf an sich folgt auch die Diskussion
über dessen Intensität und Sinnhaftigkeit. Größtenteils ist diese ermüdend, gar
sinnfrei. Wenn Günther Jauch beispielsweise mit teils skurrilen, teils
honorablen Persönlichkeiten den Wahlakt an sich in Frage stellt, dann hat das
öffentlich-rechtliche Fernsehen seinen Bildungs- und Informationsauftrag
jedenfalls in einer seltsamen Weise interpretiert. Thesen, die Politiker kurz
vor dem Wahlakt aufstellen, lassen sich leicht mit einer Handbewegung und der
Bemerkung „Es ist ja Wahlkampf!“ vom
vermeintlichen Tisch wischen. Dass die Wahlprogramme sich glichen heißt es
ebenso, wie die Politik als ein Haufen unseriöser Lügenbolde dargestellt wird.
Nun treten am 22. September 2013 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr
Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) um den Einzug, beziehungsweise Verbleib im
Kanzleramt gegeneinander an. Spannung gebe es nicht, prophezeien selbsternannte
Experten. Alles gelaufen, Luft raus. Doch stimmt das? Warum erscheint der
Sozialdemokrat so chancenlos? Und weshalb sieht es so aus, als dass die
gleichen verwerflichen „Wahlkampf“-Methoden der Kanzlerin nach 2009 ein zweites
Mal verfangen?
Medienkampagne? Wohl eher
fehlende Distanz.
Wann
immer ein Journalist Peer Steinbrück gegenüber sitzt, scheint er die Chance zu
wittern ein besonders hartes, ein besonders kritisches Interview führen zu
können. Die Sendung von Sandra Maischberger mit dem ehemaligen
Bundesfinanzminister geriet so zur Farce. Es wird die immer gleiche Geschichte
vom Pinot Grigio, ergänzt durch Vortragshonorare und den verpatzten Startschuss
in den Wahlkampf erzählt. Alles kalter Kaffee? Denkste! Die SPD übernimmt in diesen
Zeiten die Rolle des Sündenbocks. Aller Frust, aller Irrsinn wird auf ihr
abgeladen, sämtliche Medien üben sich in Hohn und Spott angesichts der vermeintlich doch ach
so arg derben Niederlage.
Welch‘ Zynismus steckt dahinter, dass konservative wie linksliberale Blätter in
einem gleichgeschalteten Modus die Wahl für längst entschieden erklären? Eine
beherzte Stimme, die diese Entwicklung in den eigenen Reihen mal anprangert?
Fehlanzeige. Etliche Genossen vermuten gar eine Kampagne der Medien dahinter –
im Sinne einer vorsätzlichen Absprache. Doch es wird einfacher und gleichwohl
nicht weniger gefährlich sein: der Fehler steckt im System. Wenn die immer
gleichen Reporter neben den immer gleichen Kollegen auf nächster Nähe beieinander
und bei Politikern hocken, entsteht ein Biotop, eine Käseglocke, der hie und
da der Bezug zur Realität entwischt.
Von wegen starkes Land!
„Stark
bleiben“, „Gemeinsam erfolgreich“ heißt es auf Wahlplakaten der Union. Wie ein
Tonband repetiert die Kanzlerin ihren Ausspruch, dass es dem Land noch nie so
gut ging wie jetzt – unter ihrer Regentschaft. Doch was sind eigentlich die
Indizien, die sie dafür heranzieht? Diesem Land kann es nicht gut gehen. Nur
ein Maßstab kann dafür gelten. Das ist das Volk. Geht es ihm gut, darf es
heißen, es gehe dem Land gut. Wenn aber tausende Menschen auf Spenden von
Lebensmitteln bei Tafeln angewiesen sind, wenn sie sich dort anstellen müssen,
weil ihr eigenes Geld nicht zum Leben reicht, wenn tausende Frauen und Männer
Vollzeit arbeiten gehen und am Ende des Monats so wenig dafür bekommen, dass
sie davon nicht einmal vernünftig leben können, wenn Millionen Menschen auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind – wie kann ein Regierungschef
dann behaupten, dem Land gehe es gut? Wie kann da das Credo das ewige „Weiter
so!“ sein? Wenn Asylbewerber wie Feinde behandelt werden, wenn es Menschen gibt
in diesem Land, die sie bekämpfen, vertreiben wollen, wie kann es uns da gut
gehen? Aber eine Kanzlerin, die zu Rezepten von Kartoffelsuppe und
Streuselkuchen befragt wird, genießt den Status quo. Ziel der Regierung Merkel
ist die Regierung Merkel, nicht mehr und nicht weniger. Antrieb ist
ausschließlich der Machterhalt. Das Erschreckende dabei: Niemand erschreckt
sich mehr über diese Erkenntnis. „Mutti muss Kanzlerin bleiben.“ Mehr Aussage
gibt es von der Union nicht. Mehr Aussage wollen viele auch gar nicht.
Überwachungsstaat, Eurokrise,
Jugendarbeitslosigkeit – war da was?
Mit
ihrer asymmetrischen Demobilisierung gelingt es Merkel, dass die einzigen
Sachthemen in einem schwarzen Loch verschwinden. NSA-Abhöraffäre? Eurokrise? War
da etwas? Nein. Nicht, wenn es nach der Kanzlerin geht. Sie ist es, die
scheinbar die zu diskutierenden Themen bestimmt. Dass ein Minister Millionen
Euro Steuergelder beim gescheiterten Drohnenprojekt in den Sand setzt oder die „amerikanischen
Freunde“ uns überwachen – beide Vorfälle werden von der Regierung Merkel als
nicht existent eingestuft. Ronald Pofalla erklärt die Dinge für beendet. Als
könne der Wurm bestimmen, wann geangelt wird. Ungeheurer sozialer Sprengstoff
lagert in den Ländern der Eurozone. In Spanien oder Griechenland ist mehr als
jeder Zweite Jugendliche arbeits- und perspektivlos. Was die Kanzlerin, die
sich doch die vermeintliche Lösung der Eurokrise auf die Fahnen schreibt, gegen
diese eklatanten Missstände in der Wertegemeinschaft zu tun gedenkt, verrät sie
nicht. Steinbrück hingegen bietet Konzepte an, macht Vorschläge, seine Partei
bringt sich ein. Dadurch macht sie sich angreifbar. Wer nichts macht, macht
nichts verkehrt – das hingegen ist das schamlose Motto von Angela Merkel.
Dabei
treibt sie das Land in eine ungewisse Zukunft. „Stillstand ist Rückschritt“,
lautet eine alte Weisheit. Und Heinz Nixdorf hinterließ den Satz: „Wer nicht
immer besser wird, hört auf gut zu sein.“ Merkel verspricht aber nichts weiter
als den Status Quo. Sie wähnt die Bürger in Sicherheit: Mach‘ Dir keine Sorgen,
alles bleibt wie es ist. Dass dies ein verhängnisvolles Credo sein könnte,
bleibt im Verborgenen. England, Frankreich und die USA stehen vor einem
Kriegseintritt in Syrien. Die mächtigste Frau der Welt fordert harte
Konsequenzen für das syrische Regime, nach dem dort der wahrscheinliche Einsatz
von Giftgas festgestellt wurde. Diese Konsequenzen aber überlässt sie den genannten.
Wir liefern vielleicht zwei Flaschen Wasser, so als humanitäre Unterstützung.
Wahrscheinlich feiert sich die Regierung wie schon nach Libyen für ihre Nichthaltung. Ein
Jammer. Das System Merkel ist vielfach untersucht und beschrieben worden. Vor allem
eine Eigenschaft taucht häufig auf: es ist schlicht langweilig. Der
Bundeskanzlerin fehlt es an Ideen für dieses Land, sie ist unkreativ und
verharrend. Ihr einziges Ziel ist der Machterhalt – allein hierfür erscheint
ihr Maßnahmenkatalog schier unendlich.
Und jetzt? Wach bleiben! Selber
denken!
All
das dürften schon Anzeichen für eine krankende Demokratie sein. Die junge Frau,
die bei Günther Jauch letztens sagte,
sie hätte noch nie positive Erfahrungen mit Demokratie gemacht, sollte
insbesondere die deutsche Geschichte zwischen 1848 und 1945 studieren. Daher:
gewiss sind die zu beklagenden Missstände mit Jammern auf hohem Niveau zu
vergleichen. Aber was ist unser Anspruch? Wenn es an Presse- und
Meinungsvielfalt fehlt, dann ist dies eine ernstzunehmende Gefahr für die
Demokratie. Dann nämlich müssen wir selber wach sein, selbst denken, selbst
aufpassen. Das empfiehlt sich schon jetzt für diesen Wahlkampf. Nehmen Sie
alles unter die Lupe, beurteilen Sie selbst was Ihnen die Kandidaten und
Parteien erzählen. Fällen Sie Ihr Urteil nach Ihren eigenen Gedanken und nicht
nach dem ewig wiederholten Mantra: „Die Wahl ist eh schon entschieden.“ Nur wer
sich Augen, Ohren und Mund zuhält, kann behaupten, dass der Wahlkampf schlafe.
Wahlkampf? Wahlkampf!
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