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Inhalte überwunden!



Eine Analyse der Bundestagswahl 2013 // Von Henning Rasche



Bei der Bundestagswahl vom vergangenen Sonntag ist nicht nur eine Spaßpartei, sondern gleich mehrere angetreten. Die Rede ist nicht von der viel und zu Recht gescholtenen und nun mit der Höchststrafe versehenen FDP, sondern von der Partei Die PARTEI, dem Projekt des Spaßvogels Martin Sonneborn. Auf Plakaten und Veranstaltungen wirbt besagte PARTEI stets mit dem Slogan „Inhalte überwinden!“. Glückwunsch, will man rufen. Dieses „Ziel“ ist erreicht. Nicht die Parteiprogramme haben die Wahl entschieden, sondern Personen. Die oft beschworenen Inhalte hatten noch nie einen so geringen Einfluss auf die Wahlentscheidung wie 2013 – es war eine reine Persönlichkeitswahl, fast wie beim Bürgermeister. Die CDU hätte ohne Merkel weitaus weniger als 42 Prozent bekommen, die SPD ohne Steinbrück (aber mit wem eigentlich sonst, er war der einzig richtige Kandidat, der einem einseitigen medialen Spin zum Opfer fiel!) wohl mehr als nur knapp 26 Prozent. Aber wie sagte schon Steinbrück: Hätte, hätte, Fahrradkette. Die Menschen wollten Merkel, nicht Steinbrück. Die FDP hingegen flog raus, weil sie mit einer Truppe – Pardon – Witzfiguren antrat. Dass die CDU kein ernstzunehmendes Regierungsprogramm vorgelegt hatte, störte die CDU-Wähler nicht. Fragte man sie nach einer Begründung für ihr Votum – unisono Merkel. Und warum nicht SPD? Unisono: Steinbrück. Dass die Regierung mit dem einzigen Versprechen in den Wahlkampf gezogen war, die Pläne der Opposition zu verhindern? Geschenkt. Ist also Angela Merkel tatsächlich die große Gewinnerin der Wahl – und wenn ja, wieso eigentlich? Und: wie geht es weiter, was ist insbesondere Sozialdemokraten zu raten?

Die stets erbärmliche schwarz-gelbe Bundesregierung wurde abgewählt. So richtig wie diese Aussage ist, so selten wird sie derzeit getroffen. Die Regierung, deren Chefin Angela Merkel war (und noch etwas ist), war so schlecht, dass ein Teil von ihr bewusst aus dem Parlament geworfen wurde. Bemerkenswert: dies wird allein der FDP zugeschrieben. Dass Merkel schon während der Legislaturperiode die seltenen Gewinne für sich beanspruchte und Niederlagen FDP oder seltener CSU in die Schuhe schob, setzt sich nach der Wahl fort. Merkel tut so, als wäre sie überhaupt nicht Teil der Regierung gewesen. Ein Blick zurück: Was bleibt von Schwarz-Gelb? Ein Entwicklungshilfeministerium, das mit FDP-Mitgliedern nur so durchtrieben ist. Ein Außenministerium, das ein FDP-Mitglied in die Bedeutungslosigkeit geführt hat. Ein nicht aufgeklärter Abhörskandal. Eine lieblos begonnene, vor sich hin siechende Energiewende. Eine orientierungslose Außenpolitik. Die Euro-Krise, klar, rein gar nichts ist gelöst. Ein vor sozialer Ungerechtigkeit nur so schreiendes Betreuungsgeld. Der Pflege-Bahr, dafür noch mal herzlichen Dank. Die Mövenpick-Steuer, fast schon vergessen, ein FDP-Klassiker. Gescheiterte Karrieren von Ex-CDU-Größen und vermeintlichen FDP-Nachwuchstalenten. Und, na klar, Angela Merkel, die Unvermeidliche, und mit ihr der Merkelismus.

Das Wahlergebnis für die SPD ist nicht nur ein Debakel – wie es derzeit überall zu lesen ist – es ist vor allem eines: furchtbar ungerecht. Die Sozialdemokraten haben seit 1998 ununterbrochen, ja, auch und gerade in dieser Legislaturperiode, Verantwortung für die Republik übernommen. Die Agenda 2010 hat das Land dahin geführt, wo es heute steht: ziemlich weit oben. Dafür hat die SPD sich zu Deutschlands Wohle aufgegeben. Altkanzler Schröder hat sich geopfert, für das Land. Ein Opfer, das, nebenbei bemerkt, eine Kanzlerin Merkel niemals bringen würde. Die SPD hat in der großen Koalition und später auch in der schwarz-gelben Koalition maßgeblich zur Krisenbewältigung beigetragen. Ohne Sozialdemokraten hätten Union und FDP oft nicht die nötige Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden. Gedankt hat den Sozialdemokraten das niemand. Merkel warf ihnen sogar noch Unzuverlässigkeit in europapolitischen Fragen vor. Eine ekelhafte, arrogante und vor allem dreiste Lüge. Wir wissen letztlich nicht, warum die SPD das Land immer noch auf Händen trägt, obwohl es ihr selbst nichts nützt. Aber wir wissen, dass unter Sozialdemokraten der Spruch „Erst das Land, dann die Partei“ keine hohle Phrase ist, sondern allgegenwärtiges Credo. Wir wissen auch, dass unter Christdemokraten der Spruch ad absurdum geführt wurde. In der CDU gilt: Erst die Macht, also Merkel, dann das Land. Da steckt Frust dahinter, ja. Aber eben auch eine gehörige Portion Wahrheit. Merkel tut stets das, was niemandem und erst recht nicht ihr schadet. Die SPD tut stets das, was vermeintlich gut für die Menschen in dem Land ist und ihr als erstes schadet.

Wohl deshalb werden die Sozialdemokraten trotz aller Widerstände in eine Große Koalition eintreten. Eine rot-rot-grüne Koalition kann und darf es nicht geben. Die SPD hat sie ausgeschlossen, sie bräuchte 2017 mangels Glaubwürdigkeit nicht mehr antreten. Der allgegenwärtige Verweis auf eine linke Mehrheit im Bundestag ist heuchlerisch. Wären die Sozialdemokraten in die Wahl gezogen ohne ein Bündnis mit der Linkspartei auszuschließen, hätte der Rote-Socken-Wahlkampf des bürgerlichen Lagers gefruchtet und die SPD ihr Ergebnis von 2009 noch weiter verschlechtert. Dennoch gilt es nun, diese theoretische Möglichkeit zu nutzen. Vom ersten Tag am Verhandlungstisch müssen Sozialdemokraten Merkel klar machen, dass sie auch selbst den Kanzler stellen könnten, wenn sie nur wollten – mit Grünen und Linken. Merkel wird wissen, dass die SPD an jedem Tag der kommenden vier Jahre die Koalition platzen lassen und selber das Kanzleramt erobern könnte. Das ist keine realistische Option, aber ein gutes Druckmittel. Die SPD muss außerdem einen zumindest moderaten personellen Neuanfang starten. Man kann nicht in die dritte oder vierte Wahl hintereinander mit den ewig gleichen Leuten gehen. Gabriel kann zwar noch zwei Jahre Parteivorsitzender bleiben, danach muss aber gut sein. Es gilt jetzt Nachwuchs an strategisch wichtigen Positionen zu installieren, so wie die Grünen es derzeit vormachen. Ein neuer Generalsekretär muss her, einer, der stark genug ist Gabriel Contra zu geben, der souverän genug ist die Partei weiter zu erneuern und der, wenn nötig, nach der Macht strebt. Ein frisches Gesicht - das braucht die SPD jetzt. Hannelore Kraft ist ein Name, der eine wichtige Rolle spielen muss in der Zukunft der Sozialdemokraten, obgleich eher als Parteivorsitzende oder Kanzlerkandidatin, nicht als Generalsekretärin. Die Zeiten, in denen man Wähler mit Gabriel oder Steinmeier hinterm Ofen vorlocken konnte, sind vorbei. Das gilt es nun zu erkennen. Dass der Fraktionsvorsitzende Steinmeier vorschnell wiedergewählt wurde, ist nach einem solchen Wahlergebnis eine Farce. Die SPD hätte sich ein Beispiel an den Grünen nehmen müssen. Wenn alle abtreten, heißt das ja nicht, dass keiner wiedergewählt werden kann.

Die Union wird in naher Zukunft implodieren. Merkel ist jetzt schon der neue Kohl. Es wird die Zeit kommen, in der auch die Deutschen von ihr gelangweilt sein werden. Dass die Kanzlerin alle möglichen Nachfolger bereits entsorgt hat und bis auf das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften alle konservativen Themen abgeräumt hat, wird die Partei noch früh genug merken. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das schallende Lachen der CDU vom Wahlsonntag manchem im Halse stecken bleibt. Das 42-Prozent-Ergebnis hat sich die Union teuer erkauft. Die Zeit nach Merkel wird dies offen legen. Die totgesagte FDP wird entgegen aller Mutmaßungen wiederkommen. Ihr wird es zwar an medialer Aufmerksamkeit in den kommenden Jahren fehlen, aber Christian Lindner ist interessant genug, um auch aus der außerparlamentarischen Opposition heraus, die Liberalen wieder liberal und wählbar zu machen.

Inhalte überwunden. Die großen Fragen haben keine Rolle gespielt in diesem Wahlkampf. Es ging um Schnitzel oder Spinat. Um teuren oder billigen Wein. Um Steuern rauf oder nix. Um PKW-Maut oder nicht. Alles Dinge, die sich für Stammtischdiskussionen herrlich eignen. Dass wir die Energiewende packen könnten, aber aus wirtschaftlichen Interessen nicht packen wollen, wäre dringend zu diskutieren gewesen. Was machen wir mit unseren Waffenexporten in autoritäre Staaten? Wie gehen wir in Zukunft mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr um? Fordern wir weiter „härteste Konsequenzen“ für Massenmörder, die ihr eigenes Volk abschlachten und ziehen uns zum Fünf-Uhr-Tee zurück, wenn es ernst wird? Wir hätten mal darüber sprechen sollen. So geht es nun weiter. Die CDU war (und ist) auf Merkel reduziert, die SPD auf Steinbrück, Grüne auf Trittin, Linke auf Gysi, die FDP auf Rösler und Brüderle. Das reduziert Politik letztlich auf Sympathie. Die Deutschen haben die Schönwetterkanzlerin gewählt, die sie einfach irgendwie mögen. Das ist ihr gutes Recht. Aber es soll dann niemand mehr schreien, Politiker seien an Inhalten und Themen nicht interessiert. Das sind die Bürger offenbar noch deutlich weniger.

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