Seiten

Sabotage Digitalisierung



Reportage vom ersten Tag der Frankfurter Buchmesse 2013 / Von Henning Rasche

Beginnen wir diesen Bericht mit dem Ende. Nicht, dass sich ein solches Vorgehen bewährt hätte, aber die Erinnerung an den Schluss liegt schon fast zwangsläufig näher als diejenige an den Start. Der Wolkenschleier hängt also tief über der Bankenstadt. Nieselregen sprüht die wenig außergewöhnlichen Frisuren der Frankfurter voll. Es lohnt sich aber nicht recht, einen Schirm aufzuspannen, obgleich in nächster Nähe stets über derlei Dinge verhandelt wird. Die Spitzen der Wolkenkratzer, der Markenzeichen von Mainhattan, verschwinden im diesigen Grau. Der Abend neigt sich über die hessische Metropole, von Literatur ist hier draußen weit und breit nichts mehr zu sehen. 

Vom Gelände der Buchmesse rechts herum, weiter in Richtung Bahnhofsviertel. Irgendwo hier muss es so etwas wie eine Frankfurter Innenstadt geben. Geschäfte, Lokalitäten, gastronomische Einrichtungen verschiedenster Art, Ortskern halt. In kleineren, mittleren und normalen großen Städten in Deutschland ist die Struktur die immer gleiche. Aus dem Bahnhof heraus, maximal einen halben Kilometer weiter ist man am Ziel. Doch hier tut sich zunächst nicht viel. Unseriös wirkende Läden reihen sich, den Charme von Duisburg-Marxloh versprühend, aneinander. Weiter, immer weiter führt der Weg – bis aus der Ferne eines dieser unsäglichen Kaufhäuser, Relikte vergangener Tage, am Horizont erscheint. Hier beginnt sie also, die Innenstadt.

Es dauert gute anderthalb Stunden bis sich in dem Konglomerat an Konsumtempeln wenigstens eine Buchhandlung auftut – vormals stets Qualitätsmerkmal von Einkaufszonen. Was sich über Frankfurts Innenstadt sagen lässt, ist wenig Positives. Auf einer Art Marktplatz tummeln sich depperte weiße Zelte für das Oktoberfest, das dieser Tage vermeintlich in keiner Stadt fehlen darf. Obdachlose, Bettler und Punker (sic!) besiedeln das Stadtbild, das von etlichen gewiss sehr wichtigen Anzugträgern ergänzt wird. Reiche und schöne Kids komplettieren das wenig eindrucksvolle Bildnis. Für den Passanten, der diese Straßenzüge erstmals begutachtet, macht Frankfurt den Eindruck einer sehr durchschnittlichen Großstadt. Vergleiche mit Berlin, Hamburg, München oder gar Köln verliert die Bankenmetropole am Main wegen des mangelnden Flairs ohnehin schnell. Aber Obacht! So viele Obdachlose wie hier waren – mit Ausnahme von vielleicht Berlin – nirgends gesehen. In immerhin einer Kategorie glänzt Frankfurt also. So endet diese Reise nun, mit einem soziologischen Blick auf die Messestadt.

Unweit des Hauptbahnhofes, es sind entspannte zehn Fußminuten – liegt das Frankfurter Messegelände. Buchmesse 2013, eine Branche steht Kopf: Autoren, Verleger, Lektoren, Buchhändler, PR-Leute, Journalisten wuseln durch die Hallen. Es ist Mittwoch, der erste Tag; nur Fachpublikum ist zugelassen. Er beginnt auf dem blauen Sofa mit Wolfgang Herles. Der Mann ist der letzte, der im ZDF noch über Bücher sprechen darf, zuletzt wurde er hin und wieder auch zu Politik befragt. Das merkelbegeisterte CDU-Mitglied Herles sitzt nun also auf diesem erstaunlich unmodischen, fast dämlich dreinblickenden Sofa gegenüber der Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2013 – Terézia Mora. Es tummeln sich ziemlich viele Menschen vor dem ZDF-Stand, die raren Sitzplätze sind längst belegt. Von dem Gespräch versteht man, als etwas im Abseits stehender Besucher, gleich im doppelten Sinne wenig. Die Akustik ist hundsmiserabel, die Technik verschluckt den Großteil der Silben. Das, was dann als Inhalt des Gespräches verstanden werden darf, erschließt sich bloß demjenigen, der Moras Roman „Das Ungeheuer“ bereits gelesen hat. Interesse daran erwecken die zwei auf dem Sofa dadurch jedenfalls nicht.

Also schleunigst fort. Hinter dem ZDF verbergen sich die Hallen 5 & 6 – internationale Verlage. Sogar der Iran stellt hier Literatur aus; jedes noch so kleine Land ist hier mit einem Stand vertreten. Den wohl größten Part neben dem Ehrengast Brasilien beanspruchen die Franzosen für sich. Deutsche Wörter sind dieserorts erfreulicherweise selten zu vernehmen.

Einen quälend langen Gang quer dazu später, befinden sich die wesentlichen deutschen Verlage und Zeitungen. Ebene Rollbänder, die ein ewiges Gefühl des Schwebens produzieren, verbinden die Flure. Geschätzte Kilometer dieses Schwebens weiter steht der neugierige Besucher vor dem Stand der Süddeutschen Zeitung. Evgeny Morozov diskutiert dort mit Dirk von Gehlen über sein neues Buch „Smarte neue Welt“. Interessante Thesen sind es, die er dort aufstellt. Im Silicon Valley werden digitale Werkzeuge für Probleme geschaffen, die es noch gar nicht gibt, sagt er. Der Mensch glaubt also im Nachhinein – jetzt wo das Werkzeug existiert – dass es ein Problem gebe. Übertragen beispielsweise auf das Buch, also als Kategorie, würde das in etwa bedeuten: Jahrhunderte fanden wir das gedruckte Buch klasse, dann erfand irgendjemand eBooks, soBooks, soziale Netzwerke, überhaupt das „Internet“, und plötzlich finden wir, dass uns das Buch in seiner gedruckten Form schon immer gestört hat. Kurios.

Wie schon in den vergangenen Jahren spielt also die Zukunft des Buches naturgemäß eine zentrale Rolle auf der Buchmesse. Einen eigenen Bereich für Self-Publishing haben die Veranstalter eingerichtet – jeder soll sein eigenes Werk selbst verlegen können. Nette Idee. Doch wer das klassische, von großen Verlagshäusern verlegte und gedruckte Buch für längst tot erklärt hat, der wird auf der Messer maßlos enttäuscht. Rücken an Rücken reihen sich Bücher bei Suhrkamp, Rowohlt, Piper, dtv, Beck oder dem Riesen Random House aneinander. Von eBooks ist – logisch – nichts zu sehen. Die haben wohl gerade deswegen zuletzt so geboomt, weil die sexuelle Trivialliteratur von E. L. James nur wenige im Portfolio des eigenen Bücherregals wiederfinden wollen.

An einem abgelegenen Ort, den der ungeübte Messebesucher schon gar nicht findet, erzählt der Alleskönner und gelegentlich auch –wisser Sascha Lobo von seiner Idee der soBooks (von Social Network/Media oder so). Der Autor soll Geld verdienen, der Verlag auch und die Leser mitreden dürfen – Revolution! Jedenfalls in den Augen Lobos. Der Klappentext soll nur noch 120 Zeichen beinhalten dürfen, also twitterkompatibel sein. Was für ein Käse: mehr Trivialisierung ist kaum möglich.

Auf dem Weg zurück zum blauen Sofa laufen illustre Figuren daher. Den Kopf schräg zur Seite geneigt, den Mund halb geöffnet, dafür die Augen zu drei Vierteln geschlossen – Hellmut Karasek schleppt sich wie ein, Pardon, Scheintoter durch die Gänge. Der stets schlecht frisierte Richard David Precht, der im Wahlkampf noch seine apolitische Arroganz vor sich hertrug, geht in der Masse unter. Kai Diekmann, der Bild-Chef, verrät seine Identität dank der 08/15-Kastenbrille und dem unheimlich locker-modern wirkenden Vollbart. Uwe Ochsenknecht irrt herum, als wisse er gar nicht, was diese ganzen viereckigen Gegenstände aus Papier sind, die hier überall rumstehen und von denen alle reden. Eckart von Hirschhausen, der Clown vom Ersten, redet brav über seine Donnerstagsabendspäße und Wolf von Lojewski tritt in herrlich unmodisch-bunter Farbkombination in Wanderschuhen auf.

Ach ja, und dann wäre da noch Jakob Augstein. Der leibliche Sohn von Martin Walser und sehr bürgerlich wirkende selbsternannte Linke (nicht mit einer gleichnamigen Partei zu verwechseln) sitzt nun auf dem Platz von Mora und redet nicht so sehr über sein Buch „Sabotage“, als vielmehr über Politik – wobei sich da nicht viel tut. Herles und Augstein, das sind eigentlich zwei Klassenfeinde. Augstein sagt, dass wir uns wohl zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden werden müssen. Dass Angela Merkel wegen ihres Mantras „Deutschland geht es gut“ die Wahl gewonnen hat und – ganz entscheidend -, dass letzteres vielleicht daran liegt, dass wohl situierte Politiker und Journalisten diejenigen aus dem Blick verloren haben, denen es eben nicht gut geht. Augstein, schon mal durch dämlichere Bemerkungen aufgefallen, hinterlässt einen überraschend guten Eindruck. Sogar die CDU-Hoffnung Julia Klöckner hört ihm zu, lächelt gelegentlich überheblich. Beispielsweise als Augstein sagt, die Steuerpläne von Grünen und Sozialdemokraten seien genau richtig gewesen. Und schließlich wünscht sich der Verleger des Freitag noch mehr körperlichen Widerstand gegen die Politik, mehr Lust an Demonstrationen. Herrlich! Nur Herles, der nach der Lektüre der Farbbeutelbastelanleitung in Augsteins Buch verwundert durch seine randlose Brille guckt, mag das alles nicht so gern hören.

Zurück zur Süddeutschen und dem Thema Digitalisierung. Hier sitzen neben SZ-Online-Chef Stefan Plöchinger gerade zwei von denen, die ein Evgeny Morozov auf Schärfste kritisieren müsste. Parteien brauchen wir nicht mehr, sagt Tim Cole, der mit Ossi Urchs das Buch „Digitale Aufklärung“ geschrieben hat. Wozu also Volksvertreter, wenn sich jeder durch das Internet selbst vertreten, selbst an Abstimmungen teilnehmen könnte? Nun, eine solch geschmeidige Frage lässt sich viel schneller aufwerfen und zu Applaus machen als gegen diesen Drang alles Bewährte für überflüssig zu erklären, zu argumentieren. Cole hätte sich vielleicht mal mit Morozov streiten sollen, dem selbst ernannten digitalen Aufklärer wären schnell die Argumente ausgegangen.

Nach zwei erstaunlich schlechten Kaffees und unzähligen angelesenen Büchern, ende ich mit den Werken, die auf meiner Leseliste landen. Den Schluss meiner Reise habe ich ja schon vorweggenommen. Bis Weihnachten dürfte das reichen:

Daniel Kehlmann: „F“, Rowohlt, etwa 23 Euro; es soll ja bekanntlich Bücher geben, die gut sind, obwohl sie Besteller wurden.

Evgeny Morozov: „Smarte neue Welt“, Blessing, etwa 25 Euro; aus den genannten Gründen.

Jakob Augstein: „Sabotage“, Hanser, etwa 19 Euro; um die eigene Kritikfähigkeit (üben und ertragen) anzuregen.

Detlef Kuhlbrodt: „Umsonst und draußen“, Suhrkamp, etwa 12 Euro; für den literarischen Freigeist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen