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Mein, dein, sein

Henning Rasche

Die Proteste gegen ACTA, also das Anti-Piraterie-Abkommen, das in Kürze als Völkerrecht verabschiedet werden und Urheberrechtsverletzungen verhindern soll, werden größer in Deutschland. "Das Internet", sprich: die Netzgemeinde, ist in Aufruhr. Zensur wird befürchtet; Internetuser sehen ihre Freiheit in Gefahr. Wenn man einmal ACTA an sich ausblendet und auf eine allgemeinere Ebene wechselt, dann stellen sich ein paar interessante Fragen. Wie ist das denn eigentlich: vertragen sich Urheberrecht und Internet nicht? Gelten im Internet andere Gesetze als außerhalb des Netzes? Und wieso wird der Schutz geistigen Eigentums im Internet vollkommen unterbewertet? 

Es ist wohl an der Zeit Partei für ein vernünftiges Urheberrecht zu ergreifen. Denn der Gedanke, dass jedem alles was im Netz so herumschwirrt gehört, der kommt wohl aus dem Kommunismus. Und so zeigt dieser Wunsch knallhart zwischen Online und Offline zu differenzieren, doch eine gewisse Absurdität auf. Denn worauf begründet sich dieser Unterschied? Wieso würde kaum jemand, der im Netz gegen Urheberrecht auftritt, in einem Supermarkt auch nur eine Tüte Gummibärchen mitnehmen ohne sie zu bezahlen, der aber gleichzeitig im Internet alle möglichen Filme und Serien schaut oder sämtliche Musik runterlädt - und das illegal? Herrscht im Netz nur eine andere Mentalität, eine Legal-Illegal-Scheißegal-Mentalität? Oder sind derlei Personen schlichtweg der Auffassung, dass das Netz andere Regeln parat hält?

Diese Diskrepanz zwischen dem Verhalten vor dem Bildschirm und in der internetfreien Umgebung, falls es eine solche Umgebung noch gibt, taucht häufiger auf. Menschen schreiben im Internet Dinge an andere Leute, die sie ihnen von Angesicht zu Angesicht verschweigen würden. Im Internet herrscht eine größere Offenheit, die einzig und allein dadurch zu erklären ist, dass weniger oder gar keine Schamgefühle entstehen. Wer in seinem Zimmer am Laptop sitzt, fühlt sich vollkommen unbeobachtet. Er glaubt so frei zu sein, dass ihm nichts und niemand schaden könnte. Dass wir nicht unbeobachtet im Internet sind, so viel sollte inzwischen zum Allgemeinwissen gehören. Facebook sammelt unsere Daten, Google sammelt unsere Daten - das Internet ist ein einziger großer Marktplatz geworden. Menschen werden zu Zahlen, zu Objekten, zu Verkaufswerten herabgewürdigt und dienen bloß noch dem Profit großer US-amerikanischer Unternehmen.

Aber: was ist falsch daran im Internet ähnliche Regeln und vor allem Ziele zu verfolgen, wie sie sonst auch gelten? Sicher, wir Menschen sind frei. Aber das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch wenn viele sich das wünschten. Der Rechtsstaat unserer Bundesrepublik darf vor dem Internet nicht halt machen. Das soll nicht heißen, dass wir im Internet den totalitären Überwachungsstaat brauchen. Den haben wir aber auch sonst nirgendwo in Deutschland. Was spricht gegen ein paar Regeln - abstrakt betrachtet, ohne auf ACTA zu schauen -, die das schützen, was sich andere ausgedacht haben? Der Künstler, der sein Lied aufnimmt; der Filmverleih, der einen Blockbuster dreht - sie alle haben auch Freiheiten. Die Freiheit nämlich Geld für ihre Produkte zu verlangen. Wir haben eben nicht im Internet geistigen Kommunismus und "draußen" knallharten Kapitalismus. Denn auch im Internet gilt: die Freiheit des einen hört dort auf, wo die Freiheit des nächsten beginnt. 

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