Von Henning Rasche
Das Massaker von Norwegen ist schon wieder eine Woche her, die Berichterstattung der Medien nimmt deutlich ab. War's das schon? Eine Woche europaweite Trauer, Schweigeminuten, Trauermärsche, Gedenken der Toten, ein kurzes, aber intensives Auseinandernehmen des Täters und jetzt ist alles vorbei? In den Geschichtsbüchern wird eines Tages der Massenmord unter dem Datum 22. Juli 2011 aufgeführt sein, so viel ist sicher. Doch was machen wir? Leben wir weiter, als sei nichts geschehen? Oder müssen wir etwas schlagartig ändern und wenn ja, was? Reicht es aus eine "neue Rechte" heraufzubeschwören? Verwechseln Leute die sowas tun nicht, dass es Unterschiede zwischen den europäischen Rechtspopulisten aus Finnland, Holland oder sonst wo und dem Handeln des Massenmörders gibt?
Meistens hilft es uns, wenn wir die Dinge in Kategorien, in Schubladen einordnen. So haben wir das mit den Anschlägen auf das World Trade Center und die spanischen und britischen U-Bahnen gemacht. Kategorie: Islamistischer Terror. Dieses Schubladendenken hat gleich dazu geführt, dass kurz nachdem die ersten Nachrichtenticker die Anschläge im norwegischen Regierungsviertel gemeldet hatten, sofort gemutmaßt wurde, es müsse sich auch hier um Islamisten handeln - der Schublade wegen. Doch das Massaker von Norwegen hat gezeigt, dass unsere Welt komplexer ist, als Schublade A, B und C. Wir sind sechs bis sieben Milliarden Individuen. Wollte man unser Handeln, unsere Gedanken in Schubladen einsortieren, müsste ein recht großer Schrank gebaut werden - mit sechs bis sieben Milliarden Fächern. Die Zeit hat - meine Vorbehalte bleiben bestehen - eine richtige Frage gestellt, die auf das Schubladendenken zurückfällt. Ist Breivik nur ein Einzeltäter? Oder müssen wir fürchten, dass auf den einen "geisteskranken" Täter weitere folgen und Ähnliches hinterlassen? Dahinter steckt die Frage, ob es hinter Breivik so etwas wie ein System gibt, eine Verabredung.
Die Frage ist allerdings nicht zu beantworten. Wenn man die unfassbaren Taten der letzten Woche mit irgendetwas vergleichen möchte, fällt einem natürlich der islamistische Terror ein. "Der rechte 11. September", sei das norwegische Massaker, sagte die SZ. Und islamistischer Terror ist aus der Perspektive eines Europäers relativ weit weg. Da glauben wir so etwas wie eine Ideologie zu erkennen. Da wäre der grundsätzliche Hass der Terroristen gegenüber "dem Westen" und da wäre das Christentum. Selbst wenn es aus unserer Sicht nicht exakt definierbar ist, welches die Gründe für den "islamistischen Terror" sind, sehen wir so etwas wie ein zusammenhängendes Gefüge. Eine Gruppe von Leuten, die sich in einem Netzwerk - al Qaida - zusammengeschlossen haben, um den "heiligen Krieg" zu führen, der einen Gottesstaat zur Folge haben soll. Aber en detail. Was wäre denn das gegenteilige Ziel? Was könnte ein "Netzwerk" um Breivik vereinen? Eine Gruppe von Leuten, die sich den Islam als Hassobjekt auserkoren haben und darüber hinaus auch alles, was tolerant und nicht islamfeindlich ist?
Selbst wenn es in Deutschland oder anderswo ähnliches gedankliches Potential wie das von Breivik gebe, dann würden wir es nicht erfahren. Im Gegensatz zu rechtspopulistischen Gruppierungen, die in Deutschland glücklicherweise bislang keinen Nährboden gefunden haben, ist das was Breivik denkt und schreibt rechtsextrem, in höchstem Maße menschenverachtend, unwürdig, rassistisch, undemokratisch. In Deutschland würde sich niemand öffentlich zu solchen Thesen bekennen, wohlwissend, dass es gerade in Deutschland unmöglich ist, nach solch einem Bekenntnis noch irgendwo einen Blumentopf zu gewinnen. Zu Recht natürlich. Aber genau das ist es doch, was ich versuche darzulegen. Es ist viel leichter Hass gegen etwas aufzuschwören, was tausende von Kilometer weg ist, als gegen den eigenen Nachbarn. Deutschland ist erfreulicherweise eine multikulturelle Gesellschaft, deswegen sind uns Breiviks "Hassobjekte" nicht fremd, sondern Freunde.
Und weil das so ist werden wir von solchen Gefahren, weilten sie denn unter uns, nichts erfahren. Für uns kann das nur eines bedeuten: Wir müssen unentwegt für unsere Demokratie, unser Grundgesetz, die Menschenwürde und jedes einzelne unserer Grundrechte eintreten und es verteidigen, jetzt und in jeder Zeit. Je mehr wir vorbeugend dafür einstehen, desto weniger kann Gegenwind aufkommen. Eine demokratische Gesellschaft ist eine starke Gesellschaft, eine starke Gesellschaft eine demokratische. Wir müssen aus einem Einzelfall keine Bedrohung für unseren Staat heraufbeschwören, das wäre grober Unfug und würde den geistlosen Schwachsinn von Breivik überbewerten. Aber es kann nicht schaden, wenn wir uns unsrere Demokratie zu eigen machen, um uns klar darüber zu werden, wie gut wir es haben. Solche Massenmörder verletzen abertausende von Seelen, aber niemals unsere Demokratie.
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