Seiten

Wir tun ihm den Gefallen

Von Henning Rasche

Wenn es sich schon mit dem schier unfassbaren Massenmord in Norwegen beschäftigen soll, dann wenigstens müssen die Opfer immer am Anfang stehen. Fast 80 Menschen mussten am vergangenen Freitag ihr Leben bei terroristischen Anschlägen im Regierungsviertel in Oslo und auf der Insel UtØya lassen. Auf der Insel fand ein Jugendcamp der norwegischen Jusos, also dem Nachwuchs der Sozialdemokraten, statt. Kinder und Jugendliche wurden wahllos ermordet. Kaltblütig, gefühllos, mit purem Tötungswillen. Sie hatten keine Chance sich zu Wehr zu setzen, waren der monströsen Gewalt hilflos ausgesetzt. Noch immer werden Leichen am Grund des Tyrisfjord-Sees mit einem U-Boot gesucht.

Wir wissen, dass sie einem beispiellos sinnfreien Massenmord zum Opfer fielen. Sollte der Tod eines Menschen jemals einen Sinn haben, in Norwegen wurde letzte Woche das komplette Gegenstück präsentiert. Wir wissen auch, dass Anders Behring Breivik der Mörder ist. Und was wir noch wissen ist, dass dieser Mann es nicht verdient hat in jeder Zeitung zu stehen, in jedem Fernsehbericht zu grinsen, das mediale Geschehen zu bestimmen. Und doch, wir tun diesem Massenmörder den Gefallen. Wir schreiben seinen langen Namen aus wie den eines Menschen, den wir verehren würden. Auf unseren Tageszeitungen, die wir zum Frühstück konsumieren, ist er auf der Titelseite. Mit einem roten Lacoste-Pullover sitzt er in einem Gelände-Jeep neben Polizisten und grinst wie ein Schuljunge, der stolz auf sein erstes Tor beim Fußball-Spiel gegen die Parallelklasse ist. Seht her, ich hab's geschafft. Das will er mit diesem Gesichtsausdruck sagen. Und das Problem dabei: er hat es tatsächlich geschafft. Dieser Mann wollte möglichst viele Menschen wahllos töten und was ihm offenbar noch wichtiger war: er wollte, dass der öffentliche Dialog auf ihn zurückfällt. Er wollte genau das, was jetzt passiert. Er wollte in Zeitungsberichten stehen, in Fernsehmagazinen sein. Er wollte, dass Journalisten sich den Kopf über seine Persönlichkeit zerbrechen. Er wollte, dass sein "Projekt", das man niemals so nennen darf, wahrgenommen und aufgenommen wird.

Und was tun wir? Wir erfüllen ihm all diese Wünsche. An zwei Tagen hintereinander widmete die Süddeutsche Zeitung ihre Dritte Seite - Reportage dem mutmaßlichen Massenmörder. Die Zeit wird heute titeln: "Nur ein Einzeltäter?". Überall können wir nachlesen, was er zu Mittag gegessen hat, welche Pullover ihm gefallen haben, dass er bei seiner Mutter gelebt hat um Geld zu sparen, dass sein Vater angeblich keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, dass er mal eine Firma hatte, dass er 170.000 Euro in die Attentate "investiert" hat. Wir wissen mehr über den Mörder, als über die Opfer. Das soll nicht heißen, dass uns die Opfer egal sind. Bilder, die aus Norwegen kommen, mit Hundertausenden auf den Straßen, die Rosen in die Lüfte strecken sind sehr emotional und bewegend. Es werden Schweigeminuten abgehalten, Trauer herrscht sicher nicht nur in Norwegen. Trotzdem sind die Medien auf den Mörder fokussiert. Für sie ist es viel interessanter zu wissen, was in ihm vorgeht, als dass, was in den Menschen, die er tötete, vorging.

Ist das unmoralisch? Oder ist es nicht schlichtweg normal, dass der Mensch sich dem Unfassbaren, dem Unbegreiflichen nur so nähern kann? Also, indem er sich den Mörder anguckt und versucht zu verstehen, was dieser wollte? Wahrscheinlich ist das so. Wir brauchen für alles Erklärungen. Und wenn wir das Unerklärbare nicht verstehen, dann bohren wir immer weiter, bis wir beim Mittagessen des Massenmörders sind. Das ist nicht schön, aber vielleicht verständlich. Das große Problem dabei ist nicht, dass wir den Mörder verstehen wollen, sondern, dass wir aufpassen müssen ihm nicht das Forum zu geben, das er wollte. Die Gratwanderung zwischen ausreichender kritischer Berichterstattung und zu viel Raum für den Mörder ist minimal. Der Mörder wollte eine öffentliche Anhörung vor dem Haftrichter, immerhin er hat sie nicht bekommen. Dieser mutmaßliche Mensch hat 1500 Seiten lang geistlose Gedanken aufgeschrieben, um damit erklären zu wollen was er tut. Von diesen 1500 Seiten weiß ich nach nun fünf Tagen Zeitunglektüre mehr, als ich je über "christlichen Fundamentalismus" wissen wollte. Mich interessiert überhaupt nicht an welche tausend Email-Adressen der Mörder sein rassistischen Schrott geschickt hat. Und trotzdem kann ich es überall lesen.

"Christlicher Fundamentalismus". Ich habe keine Idee, was ich mir darunter vorstellen könnte. Zurück zu den Wurzeln des Christentums? Und das sieht dann so aus, dass wahllos Menschen erschossen werden? Bei aller Kritik am Christentum, Mordlust zu hegen ist keines der zehn Gebote. Nun, wie wahllos waren die Opfer dieses Mannes eigentlich? Er richtete sich gegen Sozialdemokraten, Linke, gegen die "Multi-Kulti-Gesellschaft", wie er wohl schreibt. Er hasst den Islam und fühlt sich in Europa von Muslimen bedroht. Daher glaubt er diese vernichten zu müssen, er, der Tempelritter, der von Gott diesen Auftrag erhalten hat. Es ist schon reichlich absurd, dass dieser Mann junge Sozialdemokraten tötet, weil er sich einen "christlichen Fundamentalisten" nennt. 


Nein, verstehen können wir das alles nicht. Vielleicht wollen wir es auch nicht, und selbst wenn, wäre dies verständlich. Der Anwalt des Mörders, dessen Mandant nun wohl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wird und damit eine Haftstrafe von 30 Jahren erwarten kann, ist ebenso Sozialdemokrat. Auch das ist etwas, das ich nicht verstehe. Und sein Anwalt sagt, Breivik sei "geisteskrank". Dies scheint ein angenehmer Gedanke zu sein. Der Rechtsanwalt wird die kruden Thesen des Mörders genauso wenig verstehen, wie alle anderen billig und gerecht denkenden Menschen dieser Welt. Es ist ein sympathischer und nachvollziehbarer Weg den Mörder für geisteskrank zu erklären. Doch der Gedanke, sein Handeln sei einer Krankheit geschuldet, ist enttäuschend. Ein Mann, der auf hunderte Kinder und Jugendliche wahllos schießt, soll das nur getan haben, weil er nicht mehr wusste was er tut? Nein, dieser Mörder wusste genau was er tut. Er wusste wie viele Menschen er töten würde, wie viele an seinen Taten zu Grunde gehen würden. Der Ausweg der Geisteskrankheit wäre zu einfach. Der Mann muss sein Leben lang eingesperrt werden, und zwar so, dass er keine Möglichkeit hat seinen geistigen Dünnschiss weiter unters Volk zu bringen. Ein Mörder ist zwar immer noch ein Mensch und ein Mensch verliert niemals seine Würde. Aber irgendwann ist auch mal Schluss. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen