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Vorverurteilter designierter Präsidentschaftskandidat


Von Henning Rasche

Wie lange ist es her, dass wir Dominique Strauss-Kahn unrasiert, mit dicken Augenringen, völlig gezeichnet von den unsäglichen Strapazen der amerikanischen Behörden, in Handschellen, von einem Duzend Männern wie einen der meistgesuchten Terroristen dieser Erde bewacht, auf den Fotos der Zeitungen dieser Erde gesehen haben? Richtig, etwa anderthalb Monate. Am 16. Mai wurde DSK, wie er liebevoll genannt wird, in New York dem Richter vorgeführt. Seither hat sich viel getan und ergeben. Erst soll er ein „schwarzes“ Zimmermädchen vergewaltigt haben, dessen Namen damals noch unbekannt war. Dann ist er vom Vorsitz des Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückgetreten, weil er „Schaden vom Amt“ abwenden wollte. Zur Aufbewahrung wurde DSK nicht etwa in U-Haft gesteckt, nein, er wurde mit elektronischer Fußfessel für eine horrende Summe, die Strauss-Kahn vermutlich bald auch nicht mehr zahlen muss, unter Hausarrest gestellt. Er wurde von einer Horde Zimmermädchen beschimpft und wie ein Stück Dreck behandelt. Weltweit gingen Diskussionen los über die „Macho-Franzosen“, die endgültig dem Fass den Boden ausgeschlagen hätten. Berlusconi, Kachelmann und DSK – die Machtmenschen dieser Welt vergewaltigen Frauen, wie ganz selbstverständlich hieß es. (Wieso genau Kachelmann jetzt ein Machtmensch ist, konnte vor Veröffentlichung dieses Textes nicht mehr geklärt werden.) Tja, ein paar Wochen hörte man dann nichts, bis dann letztlich Ende vergangener Woche die Bombe platzte. Das „schwarze Zimmermädchen“, die jetzt auf einmal Nafissatou Diallo heißt, ist unglaubwürdig geworden. Die Staatsanwaltschaft glaubt ihr nicht mehr, weil sie ganz komische Kontakte zu ganz komischen Leuten mit ganz komischen Zahlungseigenschaften hat. Experten sagen, jetzt wo DSK schon aus dem Hausarrest entlassen wurde und die Zeugin unglaubwürdig ist, wird auch bald die Anklage wegfallen.

Manchmal hilft es Dinge miteinander zu vergleichen, um zu begreifen welchem Schwachsinn man erlegen ist. Schlagen wir doch mal die Zeitungen auf. Montag, 4. Juli 2011. Welche deutsche Zeitung hat da nicht einen großen Aufmacher über DSK gebracht? Und welche deutsche Zeitung hat da nicht zumindest versteckt die amerikanische Justiz für ihre Vorverurteilung kritisiert? Naja, wir können es uns in etwa vorstellen, auch ohne die meisten davon gelesen zu haben: wohl die wenigsten. Das amerikanische Justizsystem sei Kokolores, wie könne man einen Mann – der nur von einer Frau allein belastet wurde – derartig brüskieren, derartig bloßstellen, wie die Amerikaner es mit dem perp walk tun, haben die Medien gefragt. Vorher, als das „schwarze“ Zimmermädchen noch nicht unglaubwürdig war, trauten sich die Redakteure offenbar nicht derlei Gedanken zu publizieren. Ohne Zweifel, sie haben Recht. Allerdings ist das amerikanische System, das sich vollkommen der deutschen Unschuldsvermutung vorenthält, auch schon vor den Lügengeschichten des mutmaßlichen Opfers ein Trauerspiel gewesen. Jedem gerecht denkenden Bürger muss doch die Hutschnur platzen, wenn er sieht, was dort geschieht. Vergleichen wir das kurz mit Kachelmann. Diesem Schweizer Wettermoderator mit den langen braunen Haaren, der immer so fröhlich den nächsten Regenschauer angesagt hat. Der sollte doch seine Freundin vergewaltigt haben. Vorverurteilungen durch die deutsche Justiz? Vielleicht, ein bisschen ja. Aber Vorverurteilungen gab es in aller ersten Linie durch die Medien. Die Zeitungen, die jetzt scheinheilig vom schlechten amerikanischen Justizsystem schreiben, haben Kachelmann doch schon als Vergewaltiger bezeichnet, wo noch niemand etwas wusste.
Jetzt ist Kachelmann von einem deutschen Gericht freigesprochen, bekommt aber sicher auch dank der Medien noch nicht mal einen Job als Hausmeister oder Straßenfeger. Strauss-Kahn ist immer noch angeklagt, aber längst wird in Frankreich wieder darüber spekuliert, ob er nicht doch Präsidentschaftskandidat der Sozialisten werden könnte.

Teil 2 folgt gegen Abend... 

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