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Gerechtigkeit im Rechtsstaat

Von Henning Rasche

Möglicherweise wurde es nur deshalb zum medialen Großereignis, zum Spektakulum, weil wir gerade Anfang August haben und uns damit im Sommerloch befinden. Aber möglicherweise hat dieses Urteil eines kleinen Landgerichts in Hessen doch das Gerechtigkeitsempfinden so mancher Bürger auf eine harte Probe gestellt und eben deswegen wurde so viel darüber diskutiert. Fakt ist jedenfalls: Magnus Gäfgen wurden 3000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Magnus Gäfgen ist ein Kindsmörder, er sitzt seit 2003 im Gefängnis - lebenslänglich. Im Jahre 2002 hatte er einen 11-jährigen Jungen entführt und getötet. Als man ihn auf dem Polizeipräsidium verhörte und ihn bereits als Täter identifiziert hatte, aber das Versteck des Jungen noch nicht kannte - die Polizei ging davon aus, dass der Junge noch lebte - drohte der stellvertretende Polizeipräsident von Frankfurt Daschner Gäfgen "höllische Schmerzen" für den Fall an, dass Gäfgen das Versteck nicht preisgebe. 

Der Ausgang des Falls ist bekannt: Der Junge war schon tot, nachdem Gäfgen den Ort nannte, Daschner und ein weiterer Polizist wurden gerichtlich für ihre Folterdrohung verurteilt und der Mörder Gäfgen muss lebenslänglich im Gefängnis sitzen. 
Nun hat Magnus Gäfgen im Knast sein Jurastudium beendigt und offensichtlich nach einer Beschäftigungstherapie gesucht. Er verklagte das Land Hessen als Träger der obersten Polizeibehörden auf Schmerzensgeld. Die Drohung durch den Vize-Polizeipräsidenten habe ihn psychisch geschädigt oder sonst wie belastet. Das Landgericht gab dem 36-jährigen Mörder Recht und sprach ihm das Schmerzensgeld in Höhe von 3000 Euro zu. 

Ein Mörder kriegt Schmerzensgeld, das löste viel Verwunderung aus. Manch einer scheint wohl geglaubt zu haben, dass er das Geld für seinen Mord bekommen hat, so wie diverse Reaktionen auch im Internet bei twitter ausfielen. Dabei muss man diese zwei Straftaten völlig abgegrenzt voneinander sehen. Das eine ist der Kindmord, das andere die Folterdrohung. Natürlich besteht ein innerer Zusammenhang, aber der ist von keiner Bedeutung, da die zwei Straftaten von zwei verschiedenen Personen begangen wurden. Und sicher: Man kann schwer einen Mord an einem 11-jährigen Jungen mit einer Folterdrohung für den Mörder vergleichen, für die man doch so leicht Verständnis entwickeln könnte. Doch so sympathisch der Gedanke auch ist mit Gewalt Leben retten zu wollen, unser Rechtsstaat verbietet uns dies. Ach ja, dieser Rechtsstaat. In gefälligen Situationen mögen wir ihn, in unangenehmen, aber richtigen Fällen, wird er angegriffen. 

Kritisierte man das Urteil, das Gäfgen Schmerzensgeld zuspricht, greift man dann den Rechtsstaat an? Vielleicht nicht vorsätzlich, aber derlei Hintergedanken kann es dabei geben. Denn dieses Urteil verteidigt nicht nur den Rechtsstaat, nein, es verteidigt unser gesamtes Grundgesetz, unser Wertesystem, den Basisstein, auf dem alles aufbaut - die Menschenwürde. Auch ein Mörder, der einen Jungen tötet, verliert weder Würde noch Rechte, so schwer solche Gedanken auch sein mögen, dieses Urteil ist elementar für uns. Wo kämen wir hin, wenn wir sagten: Nein, die Tat von Gäfgen ist so abscheulich, wir dürfen ihn jetzt auch foltern, um herauszufinden, wo das möglicherweise noch lebende Kind ist? Wo ist die Grenze? Geht das auch bei Dieben oder Mördern von Mördern? Haben wir nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit Folter gemacht? Sind wir nicht mit die größten Kritiker von Guantanamo? Müssten wir nicht selber wissen, wie viel Falsches man unter Folter gesteht, nur um von den Schmerzen erlöst zu werden? 

Nein, vielleicht hätte ich ähnlich wie Daschner damals gehandelt, wäre ich an seiner Stelle gewesen. Ein Kind, dessen Leben in Gefahr ist und ein Mann, der Herrscher über diese Gefahr ist und dabei noch grinst? Ja, da kann man auf diese verlockende Idee kommen dem Mann einfach Folter anzudrohen. Und vielleicht wäre Daschner damit ja auch zum Ziel gekommen, vielleicht wäre der Junge tatsächlich noch am Leben gewesen. Wie viel Verständnis hätten wir dann heute für dieses Urteil? 

So schwer es uns auch fällt, wir müssen unseren Rechtsstaat auch in unangenehmen Situationen verstehen und verteidigen.      

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