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Demokratieflüsterer

Henning Rasche

Der Rücktritt von Christian Wulff hätte durchaus zu einer lebhaften Diskussion führen können. Einer Diskussion darüber, ob Deutschland so was überhaupt braucht, so einen Bundespräsidenten. Ein Staatsoberhaupt, dem das Grundgesetz vor allem die Macht des Wortes an die Hand gegeben hat. Zumeist ein älterer Herr, der seine Karriere hinter sich hat - der Fall Wulff war anders gelagert - erzählt zweimal im Jahr ein paar schöne Geschichten, die irgendwo auf Seite 7 der Tageszeitung eine Randnotiz wert sind. Doch die Diskussion darüber ist nicht entbrannt. Nur wenige stellen sich die Frage, ob es den Bundespräsidenten überhaupt braucht. Das kann man bedauern. Muss man aber nicht, denn der Bundespräsident ist Teil des sehr komplexen Machtgefüges. Das Grundgesetz verteilt die Zahnräder der Macht mit großer Obacht. Ein Rädchen ist größer, ein Rädchen ist kleiner. Wichtig aber ist, dass kein Rädchen zu groß wird. Und das ist auch Aufgabe des Bundespräsidenten. Was Christian Wulff nicht gelungen ist - die Macht Merkels zu beschneiden - wird Joachim Gauck gelingen. Er ist ein Mann, der den Deutschen einiges abverlangen wird. An Durchhaltevermögen, an Kritikfähigkeit und an Lust auf Kontroversen. Doch genau das ist sein Vorteil, er ist der Demokratieflüsterer.


In Zeiten der heutigen Politik in Deutschland wird von so manchem Berufspolitiker gern die These eröffnet, dieses oder jenes sei "alternativlos". Zurecht hat dieses demokratieferne Wort es bereits zum Unwort des Jahres geschafft. Doch der Eindruck, dass eigentlich alle Politiker dasselbe fordern und durchsetzen wollen, dieser Eindruck sitzt wohl fester in den Köpfen, als es sich so mancher wünscht. Eine Demokratie, die sich mit der Durchsetzung alternativloser Dinge beschäftigt, hat sich ins Gegenteil verkehrt und den Namen nicht mehr verdient. Schlussendlich ist es wichtig, dass in einer Demokratie Kontroversen geführt werden. Und so sinnfrei und menschenverachtend die Thesen eines Thilo Sarrazin waren, sie haben Deutschland eine lebhafte Debatte über Integration beschert, die es sonst nicht in der Intensität gegeben hätte. Das ist kein Lob an Herrn Sarrazin, sondern Kritik daran, dass Integration zu oft zu sehr in die Ecke gedrängt wurde. Aber die Demokratie lebt von der Auseinandersetzung, von dem ständigen Streben nach Optimierung. Die Demokratie als Marktplatz der Ideen - das ist die Traumvorstellung eines lebhaften Demokraten. 

Christian Wulff konnte dem Land keine neuen Debatten bieten. Er sprach davon, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Dieser Satz fiel jedoch lediglich als Antwort in Richtung Sarrazin und entsprang keinem eigenen Impuls. Doch der Bundespräsident kann, ja er soll als Impulsgeber dienen. Er darf nicht dikitieren und vorgeben, was er will. Was er aber sehr wohl kann ist es die Kontroverse auszulösen. Wenn Joachim Gauck, ein Mann, der seine eigene Meinung nie verstecken wird, also mit vielleicht ungewöhnlichen Thesen auffällt, dann wird er seiner Rolle schon gerecht. Obgleich Gauck vielfach falsch zitiert wird und seine Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, so zeigt es bereits jetzt, noch bevor Gauck im Amt ist, dass der Mann eines kann: Debatten anstoßen. Wenn Gauck sagte er fände die Occupy-Proteste unsäglich albern, was - wie schon gesagt - aus dem Zusammenhang gerissen ist, dann wäre es ein Zeichen eines demokratieliebenden Landes, vollmundig dagegen zu halten. Der Bundespräsident ist nicht oberster Hüter der Meinung aller Menschen. Man darf, ja man soll ihm widersprechen. Aber bitte: mit Argumenten, die ihren Namen verdient haben. Eine Debatte entseht nicht, weil gesagt wird: Gauck ist blöd, weil er Occupy blöd findet. Himmelherrgott - ja ein Wort! - müssen denn in Deutschland alle Occupy toll finden? Und wenn ja, warum?

Joachim Gauck wird also verschrecken. Er ist konservativer, als sich Sozialdemokraten und Grüne vielleicht wünschen. Aber er ist auch liberaler und sozialer als Christdemokraten und FDP es glauben. Gauck wird mit seinen Thesen reihum irritieren. Doch das ist schön. Wir sollten ihm dankbar sein und erkennen: Joachim Gauck wird mit seiner Meinung dem Amt des Bundespräsidenten viel Kraft zurückgeben. Die Kanzlerin ist unter Wulff erstaunlich stark geworden, gerade auch weil Wulff erstaunlich schwach war. Sie wurde zur Ersatzpräsidentin und kurzzeitig schlug die Machtuhr mit ihren grundgesetzlichen Zahnrädern falsch. Ein Rädchen ist zu groß geworden. Gauck wird durch seine polarisierenden Äußerungen Aufmerksamkeit abschöpfen, die sonst Merkel zuteil würde. Das ist gut, denn genauso hat es das Grundgesetz vorgesehen. Keinen, der sich wie Wulff, bei der Verköstigung des Einheitsbreis einfach hinten anstellt.  



 

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