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Sie haben die Kraft

Henning Rasche

Oft, sehr oft sogar, gab es Meldungen über ein vorzeitiges Ende seit die rot-grüne Minderheitsregierung 2010 ihre Arbeit aufnahm. Mal drohte die FDP, mal die Linke, mal die CDU, mal die Regierung selbst damit, den Landtag auflösen zu lassen. Als dann gestern wieder zu lesen war "Scheitert Rot-Grün in NRW?", hätte man dies eigentlich zum Anlass nehmen sollen, getrost darüber hinweg zu sehen. Kalter Kaffee, das Spielchen eigentlich bekannt. Dass es dann plötzlich so ernst wurde und sich nun der Landtag aufgelöst hat, darf getrost überraschen. Wer hat und wer konnte schon damit rechnen, dass das Experiment Minderheitsregierung zu dieser Zeit ihr jähes Ende nimmt? Wohl niemand. Mit Eurokrisen, Nazimorden und wulffenden Bundespräsidenten ging der Blick nach Nordrhein-Westfalen ein bisschen verloren. Doch eigentlich darf das vorzeitige Ende kein Erdbeben auslösen. Wer eine Minderheitsregierung führt, muss halt täglich damit rechnen scheitern zu können. Das ist nun geschehen. Aus Gründen, die niemand nachvollziehen muss. Und mit Auswirkungen, die sich die Verursacher der Auflösung am wenigsten wünschen dürften. Nicht die Regierung ist gescheitert, sondern die nordrhein-westfälische Opposition. Es ist wohl klar: Rot-Grün ist tot, lang lebe Rot-Grün. 

Binnen 60 Tagen wird es nun Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen geben. Sonntag, der 13. Mai ist als Wahltermin im Gespräch. Was diese Wahl ändern wird? Nun, diese Landtagswahl wird wohl aus einer Minderheitsregierung eine Mehrheitsregierung machen. So, wie die Umfragen sind, liegen CDU und SPD gleichauf bei etwa 35 Prozent, die Grünen dürfen sich über 17 Prozent freuen. Die Linkspartei knabbert an der Fünf-Prozent-Hürde; die FDP kann davon nur träumen - sie wird aus dem Landtag fliegen. Ob die Piraten nun ins Düsseldorfer Parlament einziehen oder nicht, dürfte von untergeordneter Bedeutung sein. Eine starker Wahlkampf von SPD und Grünen dürfte jedoch einen Einzug der Spaßtruppe verhindern. Alles andere als eine absolute Mehrheit für eine rot-grüne Regierung ist abwegig, so viel sollte allen Beteiligten klar sein. Ob die SPD stärker wird, die Grünen oder die CDU noch ein paar Pünktchen mehr sammelt, spielt keine Rolle. 

Und das durchaus zurecht. Hannelore Kraft als Chefin der Minderheitsregierung hat bisher eine solide Politik in Nordrhein-Westfalen gemacht. Sie hat, anders als etwa Schwarz-Gelb im Bund, ihr zentrales Wahlversprechen eingelöst: sie hat die Studiengebühren abgeschafft. Anfangs als Schuldenkönigin verschrien, widmete sie sich mehr und mehr dem Sparen und legte zuletzt einen ehrgeizigen und sparsamen Haushalt für 2012 vor. Dass dieser nun gescheitert ist, ist der Unfähigkeit von Liberalen und Linken zuzuschreiben. Kraft hat zu vielen anderen Politikern in der Republik einen entscheidenden Vorteil: sie ist beliebt und kommt beim Volk ehrlich an. Sie ist glaubwürdig und hat somit das, was Wahlkämpfe entscheidet. Die Person Kraft sollte im Mittelpunkt des nordrhein-westfälischen Werbeprogramm stehen. Sie ist es, die der SPD noch etliche Punkte mehr zuführen kann. Sie kann Wahlkampf und - viel wichtiger - sie kann regieren. 

Dieser letzte Punkt ist wohl auch der größte Unterschied zu ihrem Konkurrenten von der CDU. Für die wird nämlich Bundesumweltminister Norbert Röttgen als Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen. Offiziell will er Ministerpräsident werden, inoffiziell ist das absurd. Doch wenn Kraft nun über zwei Jahre bewiesen hat, dass sie ein Land und eine Regierung führen kann, dass sie einer gebeutelten Region ihr Wir-Gefühl zurückgeben kann, dann hat Norbert Röttgen mit Schwarz-Gelb in Berlin bisher nur eines bewiesen: er kann nicht regiern. Wesentliche Vorhaben in der Atom- und Umweltpolitik vermochte Röttgen nicht gegen seine Kabinettskollegen durchzusetzen. Er ist der Ich-kippe-um-Minister im Merkelschen Kabinett, es fehlt ihm an jeglicher Verbundenheit nach Nordrhein-Westfalen und es fehlt im Charisma. Und ein Koalitionspartner fehlt ihm auch. Norbert Röttgen wird einen hoffnungslosen Wahlkampf führen müssen, gegen eine SPD, die wieder das ist, was sie schon mal war: die Macht des Ruhrgebiets.     

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