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Ich will Currywurst

Henning Rasche

Am Sonntag sind es genau noch drei Wochen. Drei Wochen bis zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl. Dass für diesen Tag auch der diesjährige Muttertag terminiert wurde, ist - zum Leidwesen der Blumen- und Pralinenindustrie - nebensächlich geworden. Denn diese dritte Landtagswahl im überraschenden Wahljahr 2012 birgt eine Menge an politischem Sprengstoff. Wird dem gelben Hoffnungsträger Christian Lindner, der sich doch irgendwie aus der Verantwortung stahl, gelingen, die FDP wieder ins Landesparlament zu bringen? Was hätte das für Auswirkungen auf die Bundes-FDP und deren Oberhaupt Rösler? Und wenn man mal die Currywürste der Sozialdemokraten betrachtet, haben die Sozis das Experiment gestartet "Wie verspiele ich möglichst blödsinnig einen großen Vorsprung in Umfragen"? Was die nebulöse Gestalt des Bundesumweltministers Röttgen angeht, der - Gerüchten zur Folge - auch Spitzenkandidat der CDU in NRW ist, so bleibt nur eines zu fragen: Wo ist er und mit wem hält er sich versteckt? Abgesehen davon dringt eine Gruppe in sämtliche Parlamente dieser Republik, die sich "Piraten" nennt. Abgesehen davon, dass ihr Name auch nicht weniger sinnvoll ist als Currywürste in der SPD, bleibt die Frage nach dem Nutzen einer solchen Gruppierung. Was wollen die Piraten - außer, dass Sex mit Wirbeltieren wieder stärker unter Strafe gestellt wird? 


Man nehme eine an sich altbacken wirkende und als Institution in den Wechseljahren stehende Partei wie die SPD, füge eine Portion Veränderungswillen und Bereitschaft politische Teilhabe abzugeben dabei und stelle diese explosive Mischung dem "sogenannten Internet" (Zitat SPD) vor. Heraus kommt ein Wahlplakat mit einer Schale CPM (Currywurst, Pommes, Majo) und dem Slogan "Currywurst ist SPD". Man kann das lustig finden, zwingend ist eine solch humoristische Sichtweise der Dinge allerdings nicht. Kritikern des Plakats wird gern vorgeworfen, sie verständen die Botschaft nicht. Doch auch mit verstandener Botschaft - Currywurst = Ruhrgebiet; Ruhrgebiet = Heimat; Ruhrgebiet = bodenständig; SPD = Currywurst; also SPD = bodenständig und volksnah; großartig - weiß ich nicht, ob das Plakat besonders zynisch, pseudo-intellektuell oder einfach ironisch-witzig sein will. Was auch immer - dem Bewohner des Ruhrgebiets (ich weiß, wovon ich rede) ist eine solche Botschaft über eine Schale Pommes schlicht nicht vermittelbar. Die einzige Zielgruppe, die das Currywurst-Plakat, einfischen könnte, sind Hipster. Offenbar hat die NRW SPD mit dieser Aktion das "sogenannte Internet" mal wieder unterschätzt. Hätte die risikoscheue Partei erahnt, dass Currywurst-Plakate bei solchen Aktionen rauskommen, hätten sie sie wohl verhindert. Sei's drum. 

"Einmal mit Profis." Das steht auf einem Wahlplakat der Piraten, Hintergrund ist ein trojanisches Pferd. Der Aussagegehalt lässt sich in etwa in Currywürsten ausdrücken. Aber mit welchen Inhalten soll die Partei auch werben? Nach einer Lektüre des Grundsatzprogramms der Partei stellt der Leser nur fest, dass im Wesentlichen (krude Urheberrechtsthesen oder das Verlangen nach kostenlosem Nahverkehr einmal außen vor gelassen) allgemeinkonsensuale Thesen aufgenommen und anders formuliert wurden. Beispiel: "Das Ziel ist die Vollbeschäftigung." Ach was. Beispiel zwei: "Ein Mensch muss von seinem Einkommen leben können, nur so kann er in der grundgesetzlich garantierten Würde leben." Ach was zwei. Einen aufrechten Demokraten lässt diese Partei aber verzweifeln; obwohl, zur Verzweiflung treibendes Potential haben eher die Wähler der Piraten. Schlussendlich sind sie eine differenzierte Masse: die einen sind tatsächlich Protestwähler, andere überzeugte Internetnerds, manche glauben womöglich sogar tatsächlich an die basisdemokratische Erneuerung durch die Partei. Die unzähligen und enorm verschiedenen Erwartungen an die Piraten birgen letztlich ein großes Risiko. Wie die Piraten aber im Fall einer Regierungsbeteiligung weiterhin auf "Schwarmintelligenz", auf Basisdemokratie, auf "flache Hierarchien" setzen wollen, bleibt schleierhaft. Einer oder eine muss nun mal Minister werden. Und in einer Demokratie gibt es Momente, in denen es drauf ankommt, eine Meinung zu vertreten. Über die lässt sich nur schwer abstimmen. Dass Realitätsferne von Wählern eher belohnt wird, ist hier zu besonders ausgeprägt zu betrachten. Schon in der Schule war derjenige, der keine Hausaufgaben hatte, der nicht die große Ahnung von Mathe besaß, der Beliebtere. Mit ihm kann man sich identifizieren. Derjenige, der Sachkompetenz hat, der fleißig ist, kriegt schnell den Charme eines Strebers. Aber Politik ist kein Pausenhof. Es geht nicht um Coolness oder Protest. Es geht um uns. 

Christian Lindner hingegen hat ein klares, wenn auch sehr überschaubares Programm. Er - wichtig erscheint hier von der einzelnen Person zu sprechen, weil die Partei offenbar nicht mehr existiert - will Schulden abbauen (wie, weiß man nicht), das Gymnasium erhalten (niemand will es abschaffen) und die Studiengebühren (sic!) wieder einführen. Wenn das kein anziehender Plan ist, dann kann man nur noch sagen: Ich will Currywurst. Im Grunde genommen müssen wir uns eines klar machen: die FDP wird wohl wieder ein den Landtag einziehen. Jede andere These ist naiv. Es wird wohl genügend geben, die die FDP für gelindnert halten und damit für verbessert. Dabei ist das immer noch derselbe Haufen, der sich in der letzten Legislaturperiode in Düsseldorf ein ums andere Mal ins Knie geschossen hat. Gerhard Papke wird davon berichten können - er hatte seine Gründe, warum er nicht Spitzenkandidat werden wollte. Lindner, der seine Verantwortung damals einfach hinwarf ohne zu erklären warum, ist jetzt wieder liberaler Hoffnungsträger. Eigentlich braucht unser Land so jemanden nicht. Schulden bauen wir ohne ihn ab, das Gymnasium bleibt ohnehin erhalten und Studiengebühren braucht kein Mensch. Ähnlich wie die FDP. 

Die CDU in NRW erlebt derzeit ähnliches, wie Nicolas Sarkozy in Frankreich. Beide setzen verstärkt auf das Thema Entschuldung, beide kommen mit dem Thema nicht recht beim Wähler an. Und das aus gutem Grund: die Bürger verstehen nicht mehr, warum bei ihnen immer gespart werden soll, während ein Rettungspaket nach dem nächsten geschnürt wird. Wer das weiterführen will, der muss dem Bürger das in erster Linie mal erklären. Jedenfalls darf er sich nicht wundern, wenn der Wähler sich selbst am nächsten ist und sich statt Staatsentschuldung mehr über Investitionen in Bildung freut. Ach ja, wer bleibt, ist Norbert Röttgen. Aber der ist eigentlich auch egal. Am 14. Mai sitzt er wieder im Flieger. Mit der Businessclass zurück ins Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Amtssitz: Berlin. Spitzenkandidat a.D.    

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