Von Henning Rasche
Heutzutage ist er schon der Klassiker, der Coffee to go. Wenn er denn wenigstens immer so hieße. Aber nein, auch das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Der 'Coffee to go' wird von seinen Verkäufern manchmal mehr oder weniger liebevoll 'Coffee Togo' oder in meiner Lieblingsvariante 'Kaffee to go' genannt. Ich verstehe das nicht. Nicht, dass ich mich per se gegen die englische Sprache richten würde. Wir leben in einem vereinigten Europa, da sollte Englisch Standard sein. Aber wieso kann man die Dinge nicht beim Namen nennen? Wieso muss der gute alte Kaffee 'Coffee' heißen, und überhaupt, wieso muss ich den eigentlich immer mitnehmen? Was wäre das vor vielleicht zehn Jahren noch für eine absurde Idee gewesen seinen Kaffee in einen Pappbecher zu füllen und damit durch die Gegend zu rennen? Hätte das jemand gemacht wären ihm die entgeisterten, typisch deutschen Blicke sicher gewesen. Heute wird der Käufer schon schief angeguckt, wenn er einen einfachen Kaffee bestellt. "Kaffee? Haben wir nicht." Ganz im Ernst, das habe ich schon gehört. "Aber Iced Thai Moccachino Frappuchino with Double Choc Expresso with extra cream Soja mit low fat milk hätten wir." Hilfe. Eine Tasse Kaffee bitte, ist das so schwer?
Es ist normal geworden mit seinem Kaffee durch die Stadt zu jagen, sich im Auto einen Pappbecher in die Mittelkonsole zu klemmen oder denselben in der Bahn auf den Müllbehalter zustellen und sich zu wundern, dass er dem Gegenüber über den Pelz kippt. Der Pappbecher mit Kaffeegehalt hat im Jahr 2011 einen Symbolgehalt. Er soll zeigen, dass der Besitzer wichtig ist. Und in Eile, weil er so viele Termine hat. 'Lasst mich durch, ich hab einen Coffee to go, ich hab doch keine Zeit.' Am Bahnhof zum Beispiel reicht so ein Becher mit Plastikdeckel, dazu vielleicht noch ein gestresster Blick und schon weichen alle aus. Diejenigen aber, die wirklich keine Zeit haben, können sich auch keinen Kaffee am Bahnhof kaufen. Weil sie gar nicht zum Bahnhof kommen, sondern einen Chauffeur haben, wie es sich für einen wichtigen Menschen gehört. Am Pappbecher erkennt man also die Semi-Wichtigen oder diejenigen, die schon immer wichtig sein wollten und versuchen ein bisschen Hektik-Atmosphäre zu produzieren. Tatsächlich hätten alle Pappbecher-Träger die Zeit sich hinzusetzen und einen Kaffee im Kaffee zu trinken. Oder einfach im Büro? Da wo ohnehin täglich 34 Kannen gekocht werden, quasi an der Quelle, könnte man doch am besten zuschlagen. Aber nein, der Pappbecher.
Natürlich kann man sagen, es gibt Leute, die haben wirklich keine Zeit. Die sind froh, wenn sie sich mit einem Coffee to go mal eben wieder wachpusten können. Das mag sein. Aber es gibt diese Menschen, die sich über einen Pappbecher definieren. Und es bleibt ja nicht beim Kaffee. Was nehmen wir nich alles heutzutage mit? Eine wahre Mitnehmgesellschaft hat sich entwickelt. Welches Restaurant, welches Kaffee könnte noch überleben, wenn es keine Gelegenheit böte die Dinge außer Haus zu verzehren? Wohl die wenigsten. Das Mittagessen in Form eines Burgers oder eines belegten Brötchens wird in die Hand genommen und im Laufen auf der Straße gegessen. Die Pommesschale in der linken, die Pommesgabel in der rechten Hand wetzen sie durch die Geschäftsviertel. Das ist nicht nur ein unschöner Trend, sondern auch ein soziales Problem. Weil wir immer mehr darauf gedrillt werden unterwegs zu essen, unterwegs unseren Kaffee zu trinken, gerät ein eminent wichtiger Aspekt des Lebensmittelkonsums außer Acht. Die Kommunikation. Für viele Familien ist das Essen die einzige Gelegenheit miteinander zu sprechen. Doch wenn immer schon alle auf der Straße gegessen haben, wenn ihnen eingetrichtert wird - schon durch das Angebot - sie hätten keine Zeit zum Essen, dann wird es diese Gelegenheit auch immer seltener geben.
Ich will mich nicht erheben und behaupten ich sei diesen Versuchungen nie erlegen. Aber seitdem mir dieses Phänomen der gekünstelten und selbst erschaffenen Hektik aufgefallen ist, diszipliniere ich mich selbst. Kaffee gibt's nur noch im Kaffee und nur in äußersten Extremfällen - Müdigkeitsattacken - im Pappbecher. Eine Mahlzeit nehme ich dann ein, wenn ich zu Hause bin, ansonsten stehe ich die Zeit mit einem Apfel durch. Es mag nicht für jeden praktikabel erscheinen, aber ich appelliere doch an den gesunden Menschenverstand, sich diesem Hektikkarussel ein wenig zu entziehen. Nehmen wir uns doch einfach die Zeit, die uns angeblich fehlt. Das Leben erschiene so gemütlich, so entspannt. Vielleicht ist das ja nichts für die deutsche Seele, für den deutschen Geist.
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