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Die Unerhörten

Von Henning Rasche

Noch sind wir Deutsche Zeitungsleser. Jeden Morgen stecken die Blätter einmal in der Mitte geknickt im Briefkasten, manchmal vom Regen durchnässt, manchmal ist das Druckbild misraten. Es gibt Zeitungen, die sich vom Klein-Klein losgesagt und Zeitungen, die sich auf das Klein-Klein spezialisiert haben. Es gibt Zeitungen, die sowohl das eine, als auch das andere können. Also große Weltpolitik und Teckelzuchtschau im Schrebergarten. In der bürgerlichen Mittelschicht sind es wohl gerade diese Zeitungen, die besonders beliebt für ein Abo sind. Sie reichen aus, um sich einen Überblick über die Welt und Deutschland zu verschaffen und geben genügend Auskunft, um beim nächsten Kaffeeklatsch oder Bier in der Kneipe über die örtlichen Belange zu diskutieren. Solche regionale Tageszeitungen sind interessant aufgebaut. Sie verfügen über eine Zentralredaktion, in der die Geschehenisse aus ganz Deutschland aufgefasst und gesammelt werden und über mehrere Lokalredaktionen, die bis tief hinein in die Provinz verlässlich arbeiten. 


Die Zentralredaktion arbeitet hauptsächlich mit festen Redakteuren, die regelmäßig monatlich die gleiche Summe Geld auf dem Konto hat. In den Lokalteilen ist das anders: da gibt es zwei bis fünf oder noch mehr - je nach Größe des Lokalteils - fest angestellte Redakteure, aber mindestens doppelt so viele freie Mitarbeiter. Das sind Studenten, Hausfrauen, Schüler oder in selteneren Fällen auch anderweitig Berufstätige, die Termine wahrnehmen, Reportagen und Berichte schreiben. Die Arbeit der Redakteure in den Lokalbüros besteht nur noch darin die eingehenden Texte zu redigieren oder ganz selten mal eigene Termine wahrzunehmen. Häufig führt das dann dazu, dass die Redakteure gar nicht wissen, wie es "draußen" abläuft. Wie man als "Freier" behandelt wird und wie unwichtig manche Termine sind. Doch neben den Alltagsproblemen, die es wohl in jedem Metier gibt, ist ein entscheidender Faktor wesentlich: die freien Mitarbeiter werden chronisch unterbezahlt. Damit sind nicht Stundenlöhne von vier oder fünf Euro gemeint, nein, wenn es schlecht läuft und der Mitarbeiter zu einem langen Termin muss, aber nur einen kurzen Text bekommt, dann können es auch mal nur ein bis zwei Euro sein, die es in der Stunde gibt. 


Das liegt vor allem daran, dass solche freien Journalisten nach Zeilen bezahlt werden. Für jede gedruckte Zeile gibt es einen bestimmten Satz. Der Deutsche Journalisten Verband fordert beispielsweise zwischen 70 und 90 Cent pro Zeile als fairen Lohn. Doch die Realität sieht anders aus: in Gebieten mit geringeren Auflagen gibt es teilweise nur 20 Cent für eine Zeile. Ein "Aufmacher", also ein Text der größeren Kategorie, hat im Durchschnitt etwa 80 Zeilen. Am Ende springen also häufig nicht mehr als 16 Euro dabei raus. Und bis dahin hat der freie Mitarbeiter Stunden um Stunden auf einem Termin verbracht - wenn mal ein Firmengebäude brennt, können es auch schon mal zehn Stunden werden - er ist zum Termin hin und zurück gefahren und er hat, was häufig völlig unterschätzt wird, den Text geschrieben. In solchen Regionalblättern hängen die Ansprüche an die Mitarbeiter recht hoch, man kann nicht einfach irgendeinen Fliegenschiss abgeben, die Kohle gibt's trotzdem. Nein, das System ist ein anderes. Es gibt viele freie Mitarbeiter die sind auf das Gehalt angewiesen. Sie verdienen sich damit einen wesentlichen Teil ihres Lebensunterhaltes, beziehungsweise: Sie versuchen es. Das ist furchtbar schwer, es kann sich jeder ausrechnen, wie viele solcher Artikel man im Monat schreiben müsste, um auf die 400 Euro eines Mini-Jobs zu kommen. 


Das Problem an der Sache ist, dass freie Mitarbeiter von Lokalredaktionen weder Lobby noch Rechte haben. Gewerkschaftlich organisieren können sie sich kaum - hat der Journalistenverband doch extrem hohe Anforderungen in den erlesenen Kreis aufgenommen zu werden. Wichtigste Bedingung: Man muss per Steuererklärung und dutzenden anderer Dokumente nachweisen, dass man seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit Journalismus verdient und keiner anderen Tätigkeit nachgeht. Da hat man als Student schon verloren. Und gerade weil es keine Gewerkschaft für junge Journalisten gibt, können die Verlage und Zeitungen machen, was sie wollen. Begehrt einer von ihnen auf, kann er gehen. Es gibt keine Verträge, man ist ja "frei". So etwas wie selbstständig. Die Zeitung ist auf den Einzelnen nicht angewiesen, er ist ersetzbar. Nur die Masse ist stark - eine Lehre, die schon zurr Zeit der Gewerkschaftsbildung gezogen werden konnte. Nur einen Zettel muss man unterschreiben: die Einverständniserklärung, dass der Verlag alle Rechte an den Texten hat und nach freier Verfügung und vor allem unentgeltlich ins Internet stellen kann. An den neuen Medien verdient der freie Mitarbeiter nichts. Er kann sich auf nichts berufen, er kann nichts verlangen. Das einzige, was er könnte, wäre sich zu organisieren. Die Ausgebeuteten der Zeitungsbranche, sie waren lange genug unerhört. 

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