Von Henning Rasche
Wir sind eine liberale, sprich freiheitsliebende Gesellschaft. So viel setze ich jetzt einfach mal voraus. Es mag Ausnahmen geben, für jeden und für alles - das ist uns bekannt. Und so sind wir doch, habe ich den Eindruck, relativ tolerant geworden. Auch was Mode, Trends und Strömungen angeht. So war es vor ein paar Jahren für Männer, respektive Jungs, noch ein Tabubruch die Hose so zu tragen, dass man die Unterhose erblicken kann. Man mag das heute immer noch nicht schön finden, aber es wird toleriert. Und auch darüber, dass viele Frauen jetzt auf offener Straße Leggins tragen, wurde viel diskutiert. Inzwischen: Wen interessiert's? Das läuft natürlich mit vielen Dingen so, klar, das ist der Wandel der Gesellschaft. Oder auch auf die Binsenweisheit "der Mensch gewöhnt sich an alles" zurückzuführen. Doch wie weit geht unsere Toleranz gegenüber neuartigen, völlig "feshen", "hippen" Trends?
Meine jedenfalls nicht weit genug. Ich akzeptiere, dass Männer sich selbst im Hochsommer Wollmützen auf den Kopf stülpen, diese dann aber so weit nach hinten ziehen, dass man genau die hohe Stirn und den Haaransatz sieht. Ich akzeptiere, dass 85% der Frauen im Winter diese seltsam gleichförmigen, schweineteuren Wollstiefel aus Neuseeland, oder woher auch immer, tragen. Ich akzeptiere auch, dass es keinen Menschen mehr in diesem Land gibt, der kein kariertes Hemd im Schrank hängen hat. Und ich akzeptiere sogar Sonnenbrillen, die breiter sind als das Gesicht, aber nicht groß genug, um den Rest des Gesichts zu verstecken.
Aber eines verstehe ich nicht, bei aller Liebe. Immer mehr junge Frauen, aber auch junge Männer hängen sich, anstelle von Aktentasche, Rucksack oder Handtasche, einen Stoffbeutel über die Schulter. Meist in eher dunklen Farben und mit irgendwelchen geistreichen Sprüchen versehen. "George, Gina und deine Mudda", beispielsweise. Die haben glaube ich damit angefangen. Und jetzt? Jetzt ist es wieder schmuck geworden, sich olle Beutel als Aktenbeförderungsmittel anzuschaffen. Würde ich morgen mit der Aldi-Tüte ins Büro kommen - vermutlich würde ich spontan Geldscheine zugesteckt bekommen. "Mensch, du, kauf dir doch mal was Vernünftiges." Keine Frage, Geld ist in solchen Zeiten äußerst knapp bemessen. Es verlangt auch niemand einen Aktentaschen-Zwang. Aber bitte, wieso ist es denn schick, modern oder besonders "trendy", wenn man sich eine Stofftasche umhängt?
Man möge mir vorhalten ich sei ein Ahnungsloser, der von Mode ungefähr so viel versteht wie ein Wasserrohr. Doch ist Mode immer eine Frage des Geschmacks. Der eine mag das, der andere lieber was anderes. Nur, und das ist die ganz entscheidende Frage, was hat ein oller Stoffbeutel mit Mode zu tun? Im Küchenschrank hängen bei mir auch Stoffbeutel - nur schöner werden die auch nicht dadurch, dass sich immer mehr Menschen diese Dinger um die Schulter werfen. Transportierte man darin wenigstens sein Gemüse oder die Milch - mein vollstes Verständnis. Hielte man die Tüte wie jeder andere auch, den Henkel in der Hand - find ich super. Aber wieso packt man Bücher, Kugelschreiber, Portmonnaie und Lippenstift da rein und hängt sich die Henkel - der Arm muss lässig darüber liegen - genau über die Schulter?
Die gute, alte Aldi-Tüte. War sie doch einst Sinnbild für alles Abgeschmackte, nahm man sie, wenn man sich mal wieder assi fühlen wollte - heute ist sie ein Modeaccessoire. Was kommt denn als nächstes? Ersetzt die Kochschürze demnächst Anzug und Jacket? Oder dürfen wir uns Feinripp-Unterhosen über die Ohren ziehen? Ich werbe hiermit für ein bisschen mehr Contenance. Danke.
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