Von Henning Rasche
Darf man eigentlich Verständnis dafür haben, dass die Daily Mail in England sich vor einem "Vierten Reich" fürchtet? Oder zumindest davor, dass in Deutschland Leute gibt, die so etwas anstrebten? Nein, darf man nicht. Der Vergleich ist abwegig und vor allem auch vollkommen geschmacklos. Volker Kauder ist ein merkwürdiger Mann, er sagt häufiger mal seltsame Dinge, aber dass er dergleichen anstrebte, das darf ihm dann doch nicht zugetraut werden. Bei aller gebotener Kritik an dem Vergleich: was Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion auf dem Parteitag in der vorigen Woche sagte, geht gar nicht. "In Deutschland wird jetzt Deutsch gesprochen." So lautet der Satz, der europaweit für Aufsehen sorgt und nicht nur Journalisten in England in helle Aufregung versetzte.
Die Frage, was Kauder damit eigentlich sagen wollte, ist nicht leicht zu beantworten. Leichter fällt es, diesen Satz so zu interpretieren, wie man ihn am einfachsten verstehen kann. Deutschland hat in der Europäischen Union eine Führungsrolle eingenommen. Was Angela Merkel sagt, gilt es für die anderen Mitgliedsstaaten, im Besonderen der Euro-Länder, umzusetzen. Warum Merkel in der Lage ist, die Dinge vorzugeben, ist leicht erklärt: Deutschland ist das wirtschaftsstärkste Land der Europäischen Union. Deutschland hat sein AAA-Rating, Deutschland ist bei den Schuldenkönigen der Einäugige unter den Blinden. Ein Beispiel sind die Eurobonds. Weil Merkel die Bonds, also einfach gesprochen eine Vergemeinschaftung der Schulden nicht will, ist es unwahrscheinlich, dass die Europäische Union sie einführt. Zwar gibt es Befürworter sowohl in Berlin, als auch in Europa, aber Merkel ist derzeit das Maß aller Dinge.
So ist das, was die Bürger der Europäischen Union, die Unionsbürger, derzeit wahrnehmen, mit einem Diktat oder böser gesagt, mit einer Diktatur, zu vergleichen. Die Regierungschefin eines Mitgliedslandes bestimmt, was in den übrigen 16, beziehungsweise 26 Staaten passiert. Das ist ein klassisches Legitimationsdefizit. Angela Merkel ist Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, sie wurde vom Deutschen Bundestag gewählt, um die Richtlinien der deutschen Politik zu bestimmen. Warum Esten, Briten oder Griechen ihren Vorgaben folgen sollten oder müssen wird ausschließlich mit ökonomischen Argumenten begründet. Doch das reicht nicht aus. In der Demokratie werden Regierung und Parlament nicht durch wirtschaftliche Fakten oder Ratingagenturen auserwählt, sondern durch Wahlen vom Volk. Das europäische Legitimationsdefizit muss dringend behoben werden.
Das darf natürlich keines Wegs heißen, dass Angela Merkel zur Kanzlerin von Europa gewählt werden soll. Abgesehen davon, dass sie die falsche Person für derartiges Treiben wäre, ist die derzeitige Gemütslage unter den Mitgliedern der Europäischen Union eher auf Befremdung als auf Befreundung gestimmt. Mit Blick auf England lässt sich feststellen, dass ein "mehr" an Europa sehr schwierig zu gestalten sein dürfte. Denn das Diktat von Merkel und manchmal auch von ihr in Absprache mit Sarkozy, also von Merkozy, ruft Kritiker der Europäischen Union auf den Plan. Wer lässt sich schon von jemandem etwas sagen, der in der Hierarchie nicht über, sondern neben einem steht? Dementsprechend fröstelt es zwischen den Regierungen der Mitglieder. England ist sauer auf Deutschland, die Griechen sowieso - und das ist nur das, was aus Zeitungen zu entnehmen ist. Wie der atmosphärische Zustand tatsächlich ist, kann nur vermutet werden.
Die Europäische Union, so scheint es derzeit, bekommt ernsthafte Probleme nicht mehr nur im Umgang mit Geld, sondern auch im Umgang der Mitglieder untereinander. Es herrscht gewissermaßen eine Bombenstimmung in Europa. Wie ein Volker Kauder also einen mit so viel Stolz und Pathos einen Satz sagen kann, der letztendlich gerade das demokratische Defizit in der EU auf den Punkt bringt, ist unerklärlich. Für Deutschland muss es heißen, die Situation zu erkennen, besonnen zu handeln und vor allem: Vorschläge erbringen, wie das Demokratieloch gestopft werden kann. Nur so können auch Europas Skeptiker von einem "mehr" an Europa überzeugt werden. Vielleicht sogar ein Volker Kauder.
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