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Warnung vor dem bisschen Volke

Von Henning Rasche

Am Ende gewöhne sich dieser pöbelnde Mob, der sich Volk nennt, noch daran. Eine Abstimmung. Des Volkes. Kein Wunder, dass Griechenland ganz Europa schockierte. Wo kämen wir hin, wenn das Volk Entscheidungen träfe? Was für eine Staatsform hätten wir, wenn Referenden Alltag würden? Das Volk wird einbezogen, in die Entscheidung. Das ist doch verrückt! Nicht, dass das Volk hinterher noch die Demokratie fordert! Obacht, liebe Staats- und Regierungschefs: Warnung vor dem bisschen Volke. 

Angesichts der Reaktionen von sämtlichen Politikern - Frank-Walter Steinmeier mal ausgenommen - erscheint es mehr als absurd, dass ausgerechnet eine Volksabstimmung in Griechenland für so viel Wirbel und Unruhe sorgte. Wie hieß es doch so schön nach und während Stuttgart 21? "Wir müssen die Bürger jetzt mitnehmen." Direkte Demokratie - das war das Stichwort. Doch wie ernst so mancher seine früheren Worte nimmt, wenn es ums Ministerpräsident Papandreou angekündigt, das Volk über die Euro-Rettungshilfen abstimmen zu lassen, schlagen die Euro-Retter Alarm. Verständlich oder ein demokratischer Kollaps? 

Ein demokratischer Kollaps. 
Es sieht so einfach aus: das Volk wird endlich mit ins Boot geholt und darf endlich selbst entscheiden wie es weiter geht. Nimmt es den Rettungskurs an und sichert damit den Hauch einer Chance in eine bessere Zukunft? Oder stimmt es gegen den Rettungskurs und damit wohl auch gegen den Euro, gegen Europa und führt es Griechenland damit unmittelbar in den Staatsbankrott? Wie auch immer es kommt und was auch immer entschieden wird: bei einem Referendum läge die Verantwortung beim Volk selbst. Seit Wochen und Monaten demonstrieren die Griechen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Kein Wunder. Der Staat hat über Jahre hinweg sich bedient, zugeschlagen, abkassiert, an Tote Renten bezahlt, Bilanzen gefälscht. Und jetzt soll derjenige, dem das Wasser ohnehin schon bis zum Halse steht, der jeden Euro dreimal umdrehen muss, der soll jetzt dafür aufkommen. Wem würde da nicht der Kragen platzen? Eine Volksabstimmung ist das einzig richtige, die Bürger, die ihren Zorn loswerden wollen und müssen, können es dort tun. Sie wurden so oft nicht gefragt, jetzt endlich, dürfen sie sich mal freuen: ihre Meinung ist wichtig. 


Kritik? Verständlich. 
Tja. Wochenlang zerbrachen sich die Staats- und Regierungschefs den Kopf. Was tun mit Griechenland? Sie schnürten ein Rettungspaket nach dem anderen bis in der letzten Woche endlich das vermeintlich richtige Instrument gefunden wurde: der Hebel. Stolz feierten sie ihren Erfolg, die Börsenkurse stabilisierten sich - die Gefahr, sie schien gebannt. Und dann kommt derjenige daher, um den es die ganze Zeit ging, besser gesagt um dessen Land es die ganze Zeit ging. Ministerpräsident Papendreou stellt sich hin und verkündet: Ja, das ist ja alles ganz schön, was ihr euch da ausgedacht habt. Aber ich, ich will erstmal mein Volk befragen, ob es das denn überhaupt will. Das klingt töricht, arrogant und ist demütigend. Wie kann ein Mann, dem das Ausmaß der Krise doch bewusst sein muss, so etwas sagen? Der DAX stürzte wieder in den Keller, alles was man so frenetisch feierte, es zerplatzte wie eine Seifenblase. Und das alles nur, weil Griechenland erstmal das Volk befragen will, ob es denn die Hilfe überhaupt haben will. Aus der Geberseite könnte das so klingen wie: UNICEF nimmt meine 20 Euro-Spende nicht an, weil es nicht will. 


Und jetzt? 
Natürlich klingt das so. Aber die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone müssen nicht so tun, als seien sie der heilige Sankt Martin, der seinen Mantel in zwei Hälften teilt und an Griechenland weiterreicht. Nein, der hatte barmherzige Motive. Die Staats- und Regierungschefs retten Griechenland doch nicht aus Nächstenliebe oder weil sie glaubten, och, Griechen, die sind alle so nett, denen helfen wir jetzt mal. Nein, die Griechenland-Rettung geschieht aus höchst egoistischen Gründen. Niemand will den Euro gefährdet sehen, schon gar nicht durch so ein kleines Land wie Griechenland. Das Referendum könnte in Griechenland für Ruhe sorgen. Die seit Monaten aufgebrachten Bürger könnten vielleicht anfangen ein normales Leben zu führen. Jedenfalls aber könnte ein Referendum die Gewalt im Lande deeskalieren. Der Schritt von Griechenlands Ministerpräsidenten Papandreou, er ist richtig. Sein Problem ist nur: er kommt zu spät. Nachdem alles besiegelt, verkündet und beschlossen ist, will er das Volk fragen. Das ist ein bisschen Stuttgart 21 und ein bisschen Mensch ärgere dich nicht. Papandreou konterkariert mit dem Referendum alles, was seine Amtskollegen getan haben. Das ist töricht auf der einen, aber enorm mutig auf der anderen Seite.

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