Von Henning Rasche
Wenn im kommenden Sommer wieder der Ball bei der Fußballeuropameisterschaft rollt, so ist eines gewiss. Jogi Löw sitzt nicht allein auf der Trainerbank der deutschen Nationalmannschaft. Neben ihm muss viel Platz sein, sehr viel Platz. Denn dort, wo real nur noch Co-Trainer Hansi Flick sitzt, befinden sich surreal noch 83 Millionen andere Deutsche. Doch die oft gedroschene Phrase, jeder Deutsche hielte sich für den Bundestrainer, die muss nicht auf den Fußballsport beschränkt bleiben. Der Neonazismus in Deutschland ist durch die Mord-Serie der sogenannten "Zwickauer Zelle" zu neuer Präsenz gekommen. Er ist allgegenwärtig und wird, durchaus zurecht, als Bedrohung beschrieben. Doch, das reflexartig eingebrachte NPD-Verbot bedarf einer kritischeren Überprüfung. Da reicht es nicht, wenn 83 Millionen deutsche Verfassungsrichter sagen: die NPD muss weg.
Ein Parteiverbot ist in der demokratischen Bundesrepublik das schärfste wählbare Schwert, das das Grundgesetz parat gelegt hat. Es ist mit einer Sorgfalt zu wählen, wie auch sonst Säbel nur mit den Fingerspitzen am Griff angefasst werden. Demokratie ist Meinungsaustausch. Sie lebt von der Diversität der Ansichten und Ideologien. Gäbe es nur noch Mainstream, die Demokratie wäre überflüssig geworden. Es gilt unterschiedliche Meinungen zu diskutieren, sich kritisch damit auseinanderzusetzen und, gegebenenfalls, mit Argumenten zu überzeugen. Nun ist es nicht so, als dass Neonazismus für eine Demokratie, zumal für die deutsche Demokratie, lebensnotwendig wäre. Vor allem dessen Opfer wären ohne ihn besser bestellt und vor allem: sicherer. Der Gedanke, die Partei zu verbieten, der eine neonazistische Ideologie zugeschrieben wird, ist sympathisch. Wer möchte nicht darauf verzichten können, etwas Unliebsames zu betrachten? Aber anders als bei der Startelf der Deutschen Fußballnationalmannschaft, ist der Verbot einer Partei ein hochkomplexer Akt. Es bedarf einer genausten Begründung, um einen Antrag zu stellen.
Denn man stelle sich vor: nach 2003 würde auch der zweite Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht abgeschmettert. Eine größere Blamage für die deutschen Behörden, allen voran die Bundesregierung, wäre nicht vorstellbar. Ebenso bedeutete dies einen unfassbaren Triumph für braunes, rechtsradikales Gedankengut. Wenn also neunmalkluge Kommentatoren oder Politiker etwas flapsig sagen: Die NPD kann jetzt ohne Abzug von V-Leuten verboten werden, weil ein ehemaliger Parteifunktionär im Zusammenhang mit der "Zwickauer Zelle" verhaftet wurde und somit die Verbundenheit der Partei zur Gewaltbereitschaft dargestellt ist; so dann ist dies größtmöglicher Unfug. Ein Parteiverbot kann und wird nicht darauf begründet sein, dass Ralf W. mal im Vorstand der NPD war und später der "Zwickauer Zelle" eine Pistole lieferte.
Nein. Aber genau diese Dokumentationen in den deutschen Medien lassen schlimmes befürchten. Wenn der vermeintliche Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht in einer ähnlichen Stärke und Tiefe begründet wird wie derzeit, dann wäre dies an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Die Strukturen der Partei müssen bis ins kleinste Detail aufgearbeitet werden. Wer sorgt wann und wo in welcher Form für die Verfassungswidrigkeit. Dazu gehört natürlich die Frage, inwiefern die Partei Gewalt fördert und verbreitet. Aber als grundlegendes Beispiel dafür einen ehemaligen Funktionär zu nennen, das reicht nicht aus. Es müssen systematische Strukturen aufgezeigt und aufgedeckt werden, die solche Gewalt verherrlichen und produzieren. Nur die Hoffnung bleibt noch, dass der Verbotsantrag nicht völlig überhastet, sozusagen als Politikum, verbrannt wird. In der Ruhe liegt die Kraft, eine Demokratie braucht Zeit. Und so braucht es auch Zeit die Verfassungswidrigkeit einer Partei zu belegen. Es bleibt zu wünschen, dass die zuständigen Behörden sich diese Zeit auch nehmen.
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