Recht moralisch ∣ VON HENNING RASCHE
Moralisch
ist der Fall einfach gelagert. Zwar erhitzt der Fall des Sebastian Edathy die
Gemüter, aber Fürsprecher hat der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, wie
andere zuletzt gescheiterte Politiker sie noch um sich zu scharen wussten,
nicht mehr. Dafür ist sein Vergehen zu einfach zu bewerten. Kinder und
Jugendliche nackt auf Videos und Bildern eines Erwachsenen – eine tödliche
Kombination, die Karrieren jäh beenden lässt. Viele meldeten sich in den
vergangenen Wochen zu Wort, aber niemand hat Verständnis für die sexuellen
Präferenzen Edathys. Über ihm wird der Stab schneller gebrochen als die
Staatsanwaltschaft Ermittlungen führen kann. Die Vorverurteilungen beginnen
hier früh: die Information des ehemaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich
(CSU) an SPD-Parteichef, dass auf Edathy möglicherweise ein Verfahren zukommen
könnte, verhinderten ein Aufsteigen des Innenexperten der Sozialdemokraten in
der großen Koalition. Konkrete Hinweise, geschweige denn Beweise waren hierfür
nicht von Nöten. Ein jeder ist unschuldig, bis ihm der Staat sein Vergehen
nachgewiesen hat – ein eherner Grundsatz eines jeden Rechtsstaates. Doch
moralische Urteile ersetzen strafrechtliche immer schneller. So war es bereits
im Falle Wulff. Die Empörungsgesellschaft hat ein neues Opfer. Die politischen
Konsequenzen daraus übertönen diese Problematik.
Beim
Thema Kinderpornografie ist sich die Gesellschaft ausnahmsweise noch sehr
einig. Sebastian Edathy hat das gewusst als er mit seinem Klarnamen bei einem
kanadischen Ring Videos und Fotos nackter Jungen kaufte. Er hat damit seine
Karriere riskiert und muss nun den Preis dafür zahlen: den Verlust des Jobs und
des Ansehens. Sebastian Edathy kann nicht auf Eingliederung in die
Gesellschaft, auf Resozialisierung, hoffen. Wenn es um das Kindeswohl geht,
gilt Unnachgiebigkeit. Auch deswegen wird die geplante Gesetzesverschärfung in
diesem Bereich ohne Probleme durch den Bundestag gehen. Kaum andere Paragrafen
wie die der 184b und 184c des Strafgesetzbuches wurden so oft verschärft. Ein
Diskurs hierüber findet nicht statt, es besteht Konsens.
Bei
aller Abscheu, die die Thematik zurecht hervorzurufen vermag, gilt es dennoch,
die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die Vorstellung, dass sein eigenes Kind
nackt auf den Bildschirmen anderer Männer herumtobt, ist gewiss unerträglich.
Wohl niemand möchte das. Doch wann wird das Kind an sich zum Opfer, wann der
Betrachter (nicht der Verkäufer!) zum Täter? Diese Grenzen müssen aus
rechtsstaatlicher Perspektive eng gezogen werden. Wenn schon das Betrachten
nackter oder leicht bekleideter Kinder strafbar ist, was ist mit befreundeten Eltern,
die einander Kinderfotos zeigen? Was ist mit Betreuern von Kinderfreizeiten,
die Momente festhalten – stehen sie mit einem Bein im Knast? Und nicht zuletzt
dürfen Menschen nicht allein aus übermotivierter Moralvorstellung heraus
strafrechtlich verurteilt werden. Die Staatsanwaltschaft Hannover allein hat im Fall Edathy einen Anfangsverdacht aus moralischen Gründen angenommen, mithin aus Spekulation. Das ist verfassungsrechtlich höchstproblematisch und bedenklich.
Sollte
das bei Sebastian Edathy sichergestellte Material legal sein, muss der
öffentliche Verfolgungswille nachlassen. Ein Dieb hat nach Absitzen seiner
Gefängnisstrafe Aussicht, wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu
können. Ein Konsument kinderpornografischer Schriften ist an keinem
Arbeitsplatz gern gesehen. Doch ein Rechtsstaat ist gerade für diejenigen da,
die schwach sind – selbst wenn der Zustand der Schwäche selbstverschuldet ist. Edathy
hätte sich darauf verlassen müssen können, dass ein Innenminister Friedrich den
Mund hält – sein Rücktritt ist hochangemessen, die Lobpreisungen, die er im
Nachhinein erfährt, sind eine Farce, bedenkt man allein das Auftreten des
Franken im NSA-Skandal. Friedrich ist sich sicher, „Schaden vom Deutschen Volk“
abgehalten zu haben. Doch ist das Vertrauen besagten Volkes in den Rechtsstaat
und das Funktionieren desselben nicht ein deutlich höheres Gut als eine
Regierungsbildung zwischen Parteien? Die Konsequenzen, die eingetreten wären,
wenn Sebastian Edathy parlamentarischer Staatssekretär oder gar Minister
geworden wäre, hätten nicht schlimmer ausfallen können als jetzt. Im Gegenteil.
Auch die SPD-Funktionäre haben nicht im Sinne des Rechtsstaates gehandelt, ihr
Rücktritt aber brächte wohl wenig.
Was wohl in dem ganzen
Kuddelmuddel einmal helfen würde, wären Worte der Bundeskanzlerin Angela Merkel.
An ihr perlt erneut jegliche Verantwortung für bestehende Probleme ab. Sie soll
aus der Zeitung vom Fall Edathy erfahren haben. Wenn das so ist, muss sie sich
fragen lassen, ob sie ihren eigenen Laden im Griff hat. Was treiben die
Minister noch alles ohne Wissen der Kanzlerin? Kann sie ihre Hand dafür ins
Feuer legen, dass der Verfassungsminister Friedrich sich sonst an
rechtsstaatliche Grundsätze gehalten hat? Das aber wäre ihre Pflicht als
Regierungschefin. Doch es ist darüber hinaus wirklich schwer vorstellbar, dass
ein schon gegenüber den USA devot auftretender Innenminister Friedrich den
politischen Konkurrenten Gabriel informiert, die eigene Chefin aber nicht. Es
ist bemerkenswert, dass Angela Merkel dennoch völlig unbelastet durch diese
Staatsaffäre kommt. Denn sie trägt die Verantwortung.
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